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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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    D er Mann hinter dem Schreibtisch zeigte jenes blasse Aussehen, das Menschen eigen ist, die meist bei künstlicher Beleuchtung arbeiten. Sein Alter war schwer zu schätzen. Das glatte, jugendliche Gesicht passte nicht recht zu den müde und gleichgültig blickenden Augen.
    Der andere Mann, der sich mit ihm im Zimmer befand, wirkte älter, doch schien er im Gegensatz zu Ersterem von einer inneren Rastlosigkeit beherrscht zu werden. Das zeigte sich in der Art, wie er ruhelos auf und ab schritt.
    »Diese Berichte!«, brach es aus ihm heraus. »Berichte, Berichte, Berichte – wie Sand am Meer und keiner darunter, der was taugt.«
    Der Mann am Schreibtisch blickte in die aufgeschlagene Akte, die vor ihm lag. Seine Hand spielte mit einer Kartei, welche die Aufschrift trug: »Betterton, Thomas Charles.« Dann folgte ein Fragezeichen.
    Der Mann seufzte leicht.
    »Die Berichte sind also unbrauchbar?«, fragte er.
    Der andere zuckte die Achseln.
    »Wer kann das mit Bestimmtheit sagen? Da sind Berichte aus Rom, andere aus der Touraine; an der Riviera hat man ihn gesehen, in Antwerpen soll er aufgetaucht sein; in Oslo wurde er erkannt, in Biarritz bemerkt; in Straßburg soll er sich verdächtig benommen haben; in Ostende wurde er mit einer bildschönen Blondine gesichtet; in Brüssel soll er mit einem Hund spazieren gegangen sein. Ich wundere mich nur, dass nicht behauptet wird, er sei in einem Zoo gewesen, Arm in Arm mit einem Zebra. Aber ich denke, dass wir uns auch darauf noch gefasst machen müssen.«
    »Und Sie selbst, Wharton? Haben Sie sich kein Urteil gebildet?«
    Oberst Wharton schüttelte den Kopf und setzte sich mit einer heftigen Bewegung auf die Armlehne eines Sessels.
    »Wir müssen ihn finden«, sagte er eindringlich, »wir können es uns einfach nicht leisten, beinahe jeden Monat einen bedeutenden Wissenschaftler zu verlieren, ohne zu wissen, warum er geht und wohin er geht. Haben Sie in den amerikanischen Blättern all das Zeug über Betterton gelesen?«
    Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte.
    »Vor dem Krieg war er als Physiker tätig, leistete aber zunächst nichts Hervorragendes. Er wurde Mannheims Assistent, als dieser nach Amerika geflüchtet war, und hatte schließlich dessen Tochter geheiratet. Nach Mannheims Tod machte er sich selbstständig und wurde über Nacht berühmt durch die sensationelle Entdeckung der ZE-Spaltung. Er hatte eine glänzende Laufbahn vor sich. Seine Frau war allerdings bald nach der Heirat gestorben, was ihn schwer traf. Dann kam er nach England und lebte die letzten achtzehn Monate in der Atomstation Harwell. Vor ungefähr sechs Monaten hat er zum zweiten Mal geheiratet.«
    »Wer ist diese zweite Frau?«, fragte Wharton gespannt.
    »Die Tochter eines kleinen Anwalts. Vor ihrer Heirat arbeitete sie in einem Versicherungsbüro. Soviel wir festgestellt haben, interessiert sie sich nicht für Politik.«
    »ZE-Spaltung«, wiederholte der Oberst düster, »zum Teufel mit diesen Fachausdrücken. Ich bin altmodisch, ich verstehe nicht mal, was ein Molekül ist, aber heutzutage spalten sie sogar das Universum. Und Betterton war einer der Hauptspalter.«
    »Er war ein ganz liebenswürdiger Mensch. Aber inzwischen hat er nichts Epochemachendes mehr entdeckt. In letzter Zeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit den Verwertungsmöglichkeiten der ZE-Spaltung.«
    Beide Männer schwiegen eine Weile.
    Dann fragte Wharton: »Haben Sie die Frau vernommen?«
    »Ja, mehrmals.«
    »Hatten Sie den Eindruck, dass sie etwas weiß?«
    »Nein. Jedenfalls tut sie so, als ob sie nichts wüsste. Angeblich glaubt sie an eine Entführung.«
    »Glauben Sie ihr das?«
    »Ich pflege niemandem zu glauben«, versetzte der andere bitter.
    »Nun«, sagte Wharton langsam, »irgendeine Meinung müssen Sie sich doch über sie gebildet haben.«
    »Ach, sie scheint nichts Besonderes zu sein, so ein Typ, der sich nur für Bridge interessiert. Sie ist mir übrigens vorhin gemeldet worden.«
    Wharton nickte verständnisvoll und ging aus dem Zimmer.
    Der andere hob den Hörer ab und sagte:
    »Schicken Sie jetzt bitte Mrs Betterton herein.«
    Kurz darauf betrat Mrs Betterton das Zimmer. Sie war groß und mochte etwa 27 Jahre alt sein. Das Auffallendste an ihr waren ihre rotbraunen Haare. Unter dieser wundervollen Haarfülle wirkte das Gesicht ziemlich uninteressant. Sie hatte blau-grüne Augen mit den bei Rothaarigen häufig anzutreffenden hellen Wimpern. Sie setzte sich in den angebotenen Sessel und begann
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