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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel
Autoren: Carre
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noch halb so hoch sei wie ursprünglich. Dann schilderte er in grausigen Einzelheiten die Schlacht – Tschetschejew übersetzte, aber ich hörte nicht richtig hin, wie alle bis zur letzten Kugel und bis zum letzten Stoß des kinjal gekämpft hätten und Gott die hier gestorbenen Helden und Märtyrer mit Wohlgefallen betrachte und dieser Ort eines Tages ein Heiligtum sein werde. Und ich fragte mich, was Larry wohl davon halten würde, ein berühmter Geist in einem Heiligtum zu sein.
    Schließlich betraten wir den Turm, aber wie so oft bei großen Denkmälern gab es auch hier nur sehr wenig zu sehen, im Grunde nur das, was von den oberen Stockwerken herabgestürzt war. Denn das Vieh und Pferden vorbehaltene Erdgeschoß war traditionellerweise leer, wenngleich Emma, wie ich mich erinnerte, eine Kuh hineingezeichnet hatte. Ein paar Kochtöpfe lagen herum; ein Ölofen, ein Bett, ein paar Kleiderfetzen. Keine Bücher, aber das hätte man wohl auch kaum anders erwartet. Nicht einmal, soweit ich sehen konnte, ein Radio. Wahrscheinlich hatten die Angreifer den Turm geplündert, nachdem sie ihn bombardiert und zusammengeschossen und sich auf welche Weise auch immer davon überzeugt hatten, daß Larry und alle anderen tot waren. Oder aber es hatte nicht viel zum Plündern gegeben. Ich sah mich nach irgendeiner Kleinigkeit um, die ich als Andenken mitnehmen könnte, doch es gab nichts, nichts, was ein Mann auf der Suche nach Zusammenhang für eine künftige einsame Stunde mitgehen lassen konnte. Schließlich fand ich doch noch ein versengtes Stück geflochtenen Strohs, etwa zwei mal fünf Zentimeter groß und an einer Seite abgerundet. Es war lackiert und vergilbt und wahrscheinlich bloß das Überbleibsel eines Korbs – eines Obstkörbchens oder etwas dieser Art. Aber ich behielt es trotzdem, in der unbestimmten Hoffnung, daß es vielleicht doch ein Stück von Larrys Strohhut war.
    Und draußen ein Steinhaufen, der vielleicht einen Grabstein darstellen sollte, respektvoll abseits von den anderen auf einem eigenen kleinen Hügel errichtet. Der Wind, in den sich harte Schneekristalle gemischt hatten, fegte darüber hin, und als ich den Steinhaufen anstarrte, schien er kleiner zu werden. Cranmer ist die Schachtel, in der Pettifer gekommen ist, wiederholte ich mir: Aber das tat ich nur, weil ich mir das Grab als mein eigenes vorstellte. Tschetschejew hatte zwei Stöckchen für mich gesucht, Magomed gab mir ein brauchbares Stück Schnur. Mit einer gewissen Verlegenheit – wie oft hatte ich doch Larry den Pfarrerssohn über seinen Schöpfer herziehen hören – fügte ich ein unbeholfenes Kreuz zusammen und versuchte es in den Grabhügel zu stecken. Das gelang mir bei dem eisenharten Boden natürlich nicht. Also hackte mir Magomed mit seinem kinjal ein Loch.
    Ein Toter ist der schlimmste lebende Feind, dachte ich.
    Du kannst an seiner Macht über dich nichts ändern.
    Du kannst nicht ändern, was du liebst oder schuldig bist.
    Und es ist zu spät, ihn um Vergebung zu bitten.
    Er hat dich nach Strich und Faden besiegt.
    Dann fiel mir etwas ein, das Dee in Paris zu mir gesagt hatte und das ich damals bewußt überhört hatte: Vielleicht möchten Sie Ihren Freund gar nicht finden , sondern nur an seine Stelle treten.
    * **
    Auf einer freien Fläche in der Nähe des Hofs tanzten jetzt Männer im Kreis und priesen den Namen Gottes. Kleine Jungen schlossen sich ihnen an, eine Zuschauermenge drängte sich um sie. Alte Männer, Frauen und Kinder sangen und beteten und wuschen sich die Gesichter in den Händen. Der Tanz wurde immer schneller und wilder und schien Zeit und Raum zu überwinden.
    »Und wie soll es jetzt weitergehen?« fragte ich Tschetschejew.
    Doch diese Frage muß ich an mich selbst gerichtet haben, denn Tschetschejew wußte ganz genau, wie es weiterging. Er hatte unseren Führer fortgeschickt und führte uns in scharfem Tempo einen schmalen Pfad hinunter, der über den Rand des Plateaus geradewegs in einen Abgrund führte. Mir wurde klar, daß wir einen Überhang überquerten, der steiler und beunruhigender war als alles, was wir zu Pferde hinter uns gebracht hatten. Unter uns, aber so tief unten, daß er schon nicht mehr von dieser Welt schien, floß ein schmaler silberner Bach durch idyllische grüne Wiesen, auf denen Kühe grasten. Aber hier oben auf dem Berghang, wo der Wind heulte und der Fels vor uns absackte und jeder Halt kleiner war als unsere Füße, befanden wir uns in einem himmlischen Hades mit dem Garten Eden
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