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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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»Hasso, hierher!« die Bestie in die Schranken. Hasso ging noch einmal fünf Schritte zurück und stand jetzt in Griffweite der alten Dame. Während sie ihm mit ihren Gichtfingern das Fell kraulte, schloss ich vorsichtig die Wagentür.
    »Er tut Ihnen nichts«, sagte sie, »er ist Fremden gegenüber nur ein bisschen misstrauisch.«
    Tatsächlich schnupperte das Vieh nur an meiner Hose herum, als ich vor ihr stand. Sie musste mindestens achtzig Jahre alt sein und jedes Jahr hatte eine Falte in ihrem Gesicht hinterlassen. Aus ihren Augen strahlte jedoch ein klarer und harter Blick. Ich wusste, wem sie ihn vererbt hatte.
    Die Küche bestand aus einem Holztisch, vier Stühlen, Küchenschrank, Herd, Kühlschrank, Spüle und einem Kreuz an der Wand. Ich bekam eine Vorstellung von dem, was Hermann Pobradt mit bescheidenem Lebensstil gemeint hatte.
    »Möchten Sie einen Kaffee?«
    Ich sagte nicht Nein.
    »Wir leben hier ziemlich ab von der Welt. Außer meinen Kindern kommt kaum noch jemand heraus. Die alten Freunde sind leider alle tot oder können sich nicht mehr bewegen. Da ist ein unverhoffter Besuch schon eine Überraschung.«
    Sie ließ Wasser in einen Kessel und zündete mit erstaunlicher Geschicklichkeit den Gasherd an.
    »Nehmen Sie auch Nescafé? Den anderen müsste ich erst mahlen.«
    Ich nehme Kaffee in jeder Form und meistens viel zu viel zu mir.
    »Haben Sie noch mehr Kinder?«, erkundigte ich mich.
    »O ja! Außer Hermann habe ich noch zwei Töchter. Die eine wohnt in Hamburg und die andere in Bottrop. Beide haben ziemlich früh geheiratet. Hermann hat ja leider keine Frau gefunden. Vielleicht, wenn sie ihn nicht eingesperrt hätten … Aber so ist er immerhin bei mir und geht mir zur Hand. Ich bin ja nicht mehr so rüstig wie früher, wissen Sie.«
    »Wie lang ist er denn schon draußen?«, fragte ich vorsichtig.
    »Das sind jetzt, warten Sie, ja, Weihnachten vor einem Jahr ist er rausgekommen.«
    Das klang hoffnungsvoll. Sie kam mit der Kaffeetasse auf mich zu und verschüttete dabei die Hälfte in die Untertasse.
    »Da! Sehen Sie! Ich kann nicht mal mehr die Hand ruhig halten.«
    »Macht doch nichts«, sagte ich und kippte den Kaffee von der Untertasse in die Tasse zurück, »manchmal habe ich das auch.«
    Sie setzte sich zu mir an den Tisch und beobachtete, wie ich in dem Kaffee herumrührte und einen Schluck von dem Gebräu probierte.
    »Gut«, stellte ich wahrheitswidrig fest und lächelte mein charmantestes Lächeln. Es war an der Zeit, zur Sache zu kommen.
    »Sehen Sie, Ihr Sohn hat mir da eine wilde Geschichte erzählt, von Mord, Korruption und Vertuschung. Was er mir nicht erzählt hat, ist, dass er offensichtlich lange Zeit in einer psychiatrischen Anstalt leben musste. Jetzt frage ich mich natürlich, ob ein Teil seiner Anschuldigungen auf seiner, nun ja, auf seiner überspannten Fantasie beruht.«
    Die Alte zog verbittert den Mund zusammen. »Wenn Sie das wirklich glauben, sollten Sie nicht für uns arbeiten.«
    »Nein, nein«, wehrte ich ab, »ich glaube gar nichts. Ich war nur ein wenig irritiert.«
    »Sie ist ein Flittchen«, spuckte die Alte aus. »Sie hat unsere Familie kaputt gemacht, sie hat Karl umgebracht und sie läuft frei herum.«
    »Sie sind also auch der Meinung?«, fragte ich etwas blöde. Prompt fing ich einen hochmütigen Blick auf.
    »Mein einziger Trost ist, dass Gott sie strafen wird, wenn es nicht mehr auf dieser Welt geschieht.«
    Ich spürte förmlich die Verantwortung, die auf meinen Schultern lastete. Die letzte Instanz vor dem Jüngsten Gericht.
    »Soweit ich weiß, hat Ihr Sohn Hermann alles versucht, Ihre Schwiegertochter vor ein Gericht zu bekommen.«
    »Das hat er, weiß Gott. Er hat gekämpft wie ein Löwe. Ich war stolz auf ihn. In all dem Unglück, das damals über uns kam, hat er sich nicht kleinkriegen lassen. Er sagte: Mutter, wir haben recht und wir werden recht bekommen. Er hatte zu viel Vertrauen in die Gerechtigkeit. Sie haben ihm gedroht: Wenn du nicht aufhörst, sperren wir dich ein! Er hat nicht aufgehört und sie haben ihn eingesperrt. Ein gewisser Mensch, der sich Psychiater nannte, hat ihn begutachtet und dann gesagt: Verrückt. Eine Gefahr für die Allgemeinheit. Stellen Sie sich vor: mein Hermann eine Gefahr für die Allgemeinheit! Mich hat niemand gefragt, ob Hermann eine Gefahr ist. Wenigstens seine Arbeitskollegen hätten sie fragen können. Ich bin zusammengebrochen. Der eine Sohn tot, der andere eingesperrt. Was sollte ich alte Frau tun? Ich
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