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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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Handelns.«
    »Hillerich war demnach kein direkter Komplize?«
    »Ich denke, dass er sie in ihrer Absicht bestärkt hat. Und sie hat sich von ihm sicherlich die Zusage geholt, dass das Geschäft weiterlief. Ein Vertrag unter Aasgeiern sozusagen.«
    Manchmal schlichen sich in seine wohlgesetzte Rede recht derbe Vokabeln ein. Irgendwo musste dieser Moralapostel schon mal mit dem prallen Leben Bekanntschaft gemacht haben.
    Wie sich durch Nachfragen ergab, wusste Pobradt nichts Genaueres über die Kontakte zwischen Hillerich und Wilma. Auch von den Details der Geschäfte, die Hillerich und Karl miteinander abwickelten, hatte er keine Ahnung. Karl hatte sich, was dies anging, immer mit Andeutungen und versteckten Hinweisen begnügt.
    Schließlich sprachen wir noch eine Weile über polizeiliche Ermittlungen, Schlamperei und Korruption im allgemeinen und bei der münsterschen Polizei im besonderen. Es dämmerte bereits, als wir aufstanden und uns die Hände reichten. Trotzdem sah er meinen wunden Punkt mit einem Blick.
    »Was haben Sie denn mit Ihrer Hand gemacht?«
    »Neurodermitis.«
    »Was ist das?«
    »Eine erblich bedingte Hautkrankheit, die unter bestimmten Umständen – schlechte Ernährung, Stress oder auch aus unerfindlichen Gründen – zu Juckreiz führt.«
    »Bedeutet Neuro nicht Nerven?«
    »Ja. Früher dachte man, dass die Krankheit psychische Ursachen hat. Heute hat sich die Lehrmeinung geändert.«
    »Sie haben doch nicht etwa schwache Nerven?«
    »Wäre ich dann Detektiv?«
    Er schaute mir lange in die Augen, und ich gab mir alle Mühe, seinem Blick standzuhalten. Als das vorüber war, durfte ich ihn durch den Laden nach draußen führen. Mit seinem unscheinbaren grauen Anzug verschwand er blitzschnell in der Menge der Feierabendeinkäufer. Ein verbitterter älterer Herr, der zwanzig Jahre lang einer fixen Idee nachgelaufen war.
    Die nächsten zwei Stunden saß ich rauchend und grübelnd am Schreibtisch. Zwischendurch fand ich meine Salbe. Sie war unter den Sessel gerutscht.
    Dann rief ich Willi an.

II
     
     
    Briefmarken- und Münzläden sind nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Heutige Jugendliche sammeln CDs und Computerprogramme, aber keine prägefrischen Fünfmarkstücke. Mit dem Fall des Ansehens, den eine ordentliche Sammlung genießt, steigt das Alter meiner Kunden. Aber es sind Stammkunden, die mir treu bleiben und sich gerne zu einem Schwätzchen im Laden treffen, wo sie fachsimpeln oder einen lange vorbereiteten Tausch besprechen. Keine noch so gut ausgebügelte Falz und kein winziger Kratzer entgeht ihren kritischen Augen. Ich würde es allerdings sowieso nicht wagen, ihnen fehlerhafte Exemplare anzudrehen. Sie wären, im Falle der Entdeckung, tödlich beleidigt und würden mich fortan mit Missachtung strafen.
    Meine Stammkunden sind arbeitslose oder pensionierte Männer zwischen fünfzig und siebzig. Ich habe sie von meinem Vorgänger übernommen, der im Alter von zweiundachtzig Jahren selig entschlummert ist. Seine Witwe, immerhin auch schon sechsundsiebzig Jahre alt, hatte für den Laden keine Verwendung mehr. Damals musste ich gerade unrühmlich aus der juristischen Laufbahn ausscheiden und suchte nach einer neuen Beschäftigung. Unselbstständiges Arbeiten liegt mir nicht, also hielt ich die Augen auf nach einem Geschäft, von dem ich ein bisschen verstand und das in nicht allzu viel Stress ausarten würde.
    Die Witwe war sich über den gesunkenen Marktwert ihres Erbes im Klaren und bot es mir zu einem sehr günstigen Preis an. Ich kratzte meine sämtlichen Ersparnisse zusammen, nahm einen Kredit auf und stieg ein. Der Laden lief noch schlechter, als ich dachte. Die Folge war, dass ich einen Fernkurs für Detektive belegte. Da ich mir wegen des geringen Umsatzes keinen Angestellten leisten konnte, musste mir für die Zeit, in der ich als Detektiv arbeitete, eine Lösung einfallen. Die Lösung hieß Willi.
    Im Gegensatz zu mir ist Willi keine gescheiterte Existenz, denn er hat sich nie der Mühe eines Berufsabschlusses unterzogen. Offiziell bezeichnet er sich als Student eines obskuren Faches, im 24. oder 27. Semester, und mit der vagen Aussicht, irgendwann einmal die Promotion einzureichen. Da ihn das Studium nicht ausfüllt und die elterliche Unterstützung längst ausgelaufen ist, nimmt er kleinere Jobs an, die es ihm ermöglichen, sich und seine drei Katzen zu ernähren.
    Meine Kunden mögen Willi. Er strömt, überall wo er steht oder geht, eine gewisse Gemütlichkeit aus.
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