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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad
Autoren: Heinz G. Konsalik
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VORWORT
    Als Jahre nach dem Krieg ein Arzt aus der sowjetischen Gefangenschaft zurückkehrte, geschah etwas fast Unerklärliches: Ein Mensch, der nicht über sich sprach, der keinen anderen Wunsch hatte, als zu seiner ärztlichen Berufsarbeit zurückzukehren, war plötzlich im Munde aller Menschen. Schon seit Jahren war über 3.000 Kilometer Entfernung, über die Zone des Schweigens und den Eisernen Vorhang hinweg, die Nachricht nach Deutschland gedrungen, daß ein Arzt sich für seine Kameraden in der Gefangenschaft aufopferte, ein Mann, dessen Namen noch niemand gehört hatte.
    Jetzt war er wieder in der Heimat. Das ist er, sagten die Menschen, das ist der Mann, der in einzigartiger Weise, aus menschlicher und ärztlicher Verpflichtung heraus unermüdlich für seine Kameraden tätig war und der durch die Kunde von seinen fast unglaubhaften Operationen auch tausend anderen half, die er gar nicht kannte, die sich jedoch an dem Beispiel, das er gab, aufrichteten, Glaube und Hoffnung wiederfanden, um die Entbehrungen und die Vereinsamung in den Weiten Rußlands durchzustehen. Sein Beispiel wirkte nicht nur auf Hilfsbedürftige, sondern auch auf andere Ärzte, die unter dem Eindruck dessen, was sie von ihm hörten, angespornt wurden.
    Dieses Buch, das ›Der Arzt von Stalingrad‹ heißt, will nicht den Anspruch erheben, als eine Biographie dieses Arztes angesehen zu werden. Aber es ist entstanden nicht im luftleeren Raum, sondern aus dem schier unerschöpflichen Material, das in den Berichten und den Überlieferungen zahlreicher Zurückgekehrter dem Autor vorlag. Dieser hat es verdichtet und in freier Gestaltung geschaffen. Wenn er auch nicht imstande war, das Lebensbild und das Wirken jenes Arztes nachzuzeichnen, so waren doch sein Beispiel und sein Geist federführend, ohne daß er von der Entstehung dieses Buches wußte.
    Die Namen sind aus Rücksicht auf noch lebende Personen geändert oder frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen von Personen, Orten, Erlebnissen und Vorkommnissen sind ungewollt und nicht beabsichtigt.

    DER VERLAG

ERSTES BUCH

A US DEM T AGEBUCH DES D R . S CHULTHEISS , L AGERARZT IN S TALINGRAD :
    Alles riecht heute wieder nach Kohlsuppe.
    Die Baracke, das enge Zimmer, das Bett, die dicken gesteppten Jacken, die Pelzmütze, die Handschuhe, der blecherne Eßnapf, die tausendfach gestopften Socken … alles, alles! Sogar die Primel vor dem Fenster des Zimmers 3, dem Zimmer unseres Oberarztes Dr. von Sellnow. Woher sie kam, diese Primel … keiner weiß es. Sie war plötzlich da, stand auf dem schmalen Fenstersims und sah hinaus auf die unendliche Weite der Wolgaebene. Der Wind von Stalingrad flüsterte in ihren Blättern, ihre Blüten wiegten sich leicht, und oft standen wir davor, hatten die Hände um diese blaßrote Blüte gelegt und träumten von den Primeln zu Hause … Überall gab es diese Blume in der Heimat, sie wurde hier ein Stück Deutschland, heimatlos wie wir, verpflanzt und doch lebend … Mein Gott, wie dumm sind die Gedanken, wenn man Heimweh hat …
    Hinter meinem Rücken ging der Oberarzt hin und her. Seine kurzen, stämmigen Beine stampften den Dielenboden, als wolle er die Nägel einzeln festtreten. In seinem Gesicht, dem breiten Gesicht mit den weit auseinanderstehenden Augen und der hohen Stirn, sah ich Ratlosigkeit und tiefes Entsetzen.
    »Ein Saustall, Schultheiß«, schrie er aufgebracht und schlug wütend mit der Faust gegen die Wand. »Ein Saustall, aber kein Lazarett. Keine Medikamente, keine Spritzen, keine Instrumente – nicht mal ein Chirurgenmesser. Womit sollen wir behandeln, womit sollen wir operieren? Ein paar alte dreckige Lappen als Verbandszeug, vier alte verrostete Gefäßklemmen, mit denen der Iwan offenbar Kerzen geschneuzt hat und die der Pelz dann vom Müllhaufen herunterholte – das ist so ungefähr das ganze Inventar dieses sogenannten Lazaretts!«
    Er nahm seinen Marsch durchs Zimmer wieder auf. »Ich sage Ihnen, Schultheiß, bei den Arbeitsbedingungen, die unsere Männer hier haben, werden wir Krankheiten und Unfälle am laufenden Band haben. Zertrümmerungen und Quetschungen und Knochenbrüche, ansteckende Krankheiten, Gelbsucht und ›Dystrophie‹ – wie man hier so schön sagt, wenn einer drauf und dran ist, vor Hunger zu krepieren!«
    Er pflanzte sich vor mir auf und schrie mich an: »Aber ich werde mich weigern, Schultheiß! Ich werde den Teufel tun, ich werde nein schreien und dieser russischen Ärztin, diesem Weibsstück, ins Gesicht
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