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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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alten Männern, die ihre 52-Serie der ungarischen Post vervollständigen wollten. Aber schließlich schaffte ich es doch, Pobradt davon zu überzeugen, dass ich alle, auch die abwegigsten Fragen stellen musste, um einen genauen Überblick über den Fall zu bekommen. Seinerseits rückte er damit heraus, dass er den Inhalt der beiden anderen Briefe nicht kannte. Hillerich habe seinen vernichtet und Wilma den ihren nur der Polizei vorgezeigt.
    »Einmal gesetzt den Fall«, begann ich erneut, »nur mal gesetzt den Fall, die Ehestreitigkeiten waren tatsächlich unerträglich. Warum hat er sich dann nicht einfach scheiden lassen?«
    Pobradt warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Wir sind katholisch. Katholisch geboren, katholisch erzogen und katholisch verheiratet. Scheidung kommt nicht infrage. Außerdem hätte sie einwilligen müssen. Aber sie dachte gar nicht daran, sich scheiden zu lassen. Sie wollte die Chefin eines großen Betriebes bleiben. Meinen Sie, sie hätte wieder Haare gewaschen und Dauerwellen gelegt, wie sie es früher musste, bevor mein Bruder, dieser Idiot, sie aus diesem miesen Friseurladen herausgeholt hat?«
    »Sie mochten Ihre Schwägerin nie besonders, stimmt's?«
    Pobradt sprach die Antwort in Richtung meiner juristischen Fachbücher: »Sie passte nicht zu uns. Wir kommen vom Lande. Wir haben einen einfachen, bescheidenen Lebensstil. Sie wollte das große Leben. Schicke Kleider, teure Autos, nette Partys. All dieser verdorbene Schnickschnack, mit dem reiche Leute ihre Zeit totschlagen. Und mein Bruder lag ihr zu Füßen, anfangs jedenfalls. Las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab, wie das in diesen Schundromanen heißt. Ein neuer Pelz, kein Problem. Urlaub auf Mallorca, warum nicht? Außerdem war sie evangelisch.«
    Einen Moment lang war ich versucht, ihm mitzuteilen, dass ich praktizierender Atheist sei, doch dann verzichtete ich darauf mit Rücksicht auf meinen katastrophalen Kontostand.
    Pobradt war in Gedanken versunken und schien in den letzten Minuten um Jahre gealtert zu sein. Die Erinnerungen an die Geschehnisse von damals hatten ihn offensichtlich mitgenommen. Trotz seines aufbrausenden und anmaßenden Wesens tat er mir ein bisschen leid. Und ich kam nicht umhin, ihm eine peinliche Frage zu stellen.
    »Hatten Ihr Bruder oder seine Frau zur damaligen Zeit eine Affäre?«
    »Wie bitte?«
    »Eine Geliebte oder einen Geliebten? So was soll in den besten Ehen vorkommen, in den schlechten sowieso. In diesem Fall hätten wir einen Grund für die Ehestreitigkeiten und sogar ein Tatmotiv.«
    »Quatsch. Karl und eine Geliebte – eine unmögliche Vorstellung. Ich sagte doch schon: Wir sind katholisch erzogen worden. Ihr wäre es natürlich zuzutrauen. Aber sie hätte sich eher einen Finger abgebissen, als einen Grund für eine Scheidung zu liefern.«
    Langsam ging der Tag zur Neige und die Schuppen auf meinem Schreibtisch glänzten in der untergehenden Sonne. Mir wurde bewusst, dass ich für 150 Mark am Tag etwas bieten musste.
    »Möchten Sie etwas trinken? Kaffee, Tee, Mineralwasser, etwas Alkoholisches?«
    »Nein, danke. Ich lebe abstinent. In jeder Beziehung.«
    Ich hatte mir so was gedacht.
    »Gut. Dann machen wir weiter. Am Anfang haben Sie erwähnt, dass Ihre Schwägerin und dieser Hillerich bei dem Mord zusammengearbeitet haben. Welches Interesse hatte Hillerich an Ihrer Schwägerin, wenn er, äh, von ihr als Frau nichts wollte?«
    Pobradt lachte kurz und freudlos auf. »Hillerich war nur an einem interessiert, an Geld. Und in dieser Beziehung konnte Wilma ihn verstehen. Da hatten sich zwei verwandte Seelen gefunden. Hillerich wollte, dass die Firma Pobradt im Geschäft blieb, und Wilma wollte das auch. Beide profitierten vom sogenannten Selbstmord meines Bruders.«
    »Ich weiß zwar, dass Leute schon wegen geringfügigerer Sachen umgebracht worden sind, trotzdem scheint mir das als Tatmotiv etwas dürftig.«
    »Ich habe nie behauptet, dass das der einzige Grund war. Die Ehe bestand nur noch auf dem Papier. Nach der glorreichen Anfangszeit merkte mein Bruder sehr schnell, dass er sich eine Luxusnutte ins Nest geholt hatte. Bald stritten sie sich wegen jeder Kleinigkeit. Wie oft ist Karl zu mir auf den Hof gekommen und hat sich bitterlich über seine Frau beklagt! Das war keine Ehe mehr, das war die Hölle. Als dann mein Bruder fest entschlossen war, die Verbindung mit Hillerich zu kappen und damit den mittlerweile erreichten Lebensstandard aufs Spiel zu setzen, kam für sie der Moment des
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