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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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I
     
     
    Ich saß hinter meinem Schreibtisch und bearbeitete gerade mein rechtes Bein. Es juckte fürchterlich und ich kratzte, bis die ersten Blutstropfen in die hellen Socken liefen. Fluchend zog ich das Hosenbein hoch und lief humpelnd durch das Büro, weil ich nicht wusste, wo ich die Salbe hingelegt hatte.
    Ausgerechnet in diesem Moment musste natürlich ein Kunde kommen. Wenn irgendwelche Kunden kommen, und es kommen wenig genug, stören sie mich meist bei einer wichtigen Sache. Wütend ließ ich das Hosenbein herunter und stapfte mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht in den Laden. Vor mir stand ein angegrauter, spätmittelalterlicher Herr.
    »Ich dachte …«, sagte er.
    »Ja, bitte?«
    »Draußen hängt doch ein Schild: Detektivbüro Georg Wilsberg. «
    »Das bin ich.«
    »Aber das hier …«
    »… ist ein Laden für Briefmarken- und Münzsammler. Das Detektivgeschäft ist nicht einträglich genug, um davon leben zu können. Das Briefmarken- und Münzgeschäft übrigens auch nicht. Beides zusammen reicht gerade.«
    »Aha.« Er schien von mir als Geschäftsmann nicht besonders überzeugt zu sein.
    »Sie wollen also meine Dienste als Detektiv in Anspruch nehmen?«, half ich ihm auf die Sprünge.
    Er überlegte einen Moment, ob er das tatsächlich noch wollte, und entschied sich dann für das kleinere Übel, für mich. Ich schloss die Ladentür ab, gab meinen Stammkunden durch ein Schild zu verstehen, dass sie mich heute nicht mehr erreichen würden, und bat den neugewonnenen Klienten in mein Büro.
    Mein Büro war alles andere als repräsentabel. Ein langer Schlauch, der an der Stirnseite einen Blick auf den Roggenmarkt, die Verlängerung von Münsters Prachtstraße Prinzipalmarkt, und die Lambertikirche erlaubte. Im Vergleich mit dem dort versammelten Glanz wirkte die diesseitige Inneneinrichtung doppelt schäbig. Ein Schreibtisch in Gelsenkirchener Barock, überhäuft mit Zeitschriften und Geschäftspapieren, dahinter mein größtes Schmuckstück, ein moderner Bürosessel, der einzige Luxus, den ich mir in den letzten Jahren geleistet hatte. Die durchgesessenen Besucherstühle waren von einem etwas unappetitlichen Grau, und die schwarz lackierten Ikea-Regale konnten das Ganze auch nicht mehr retten.
    Ich besah mir den potenziellen Auftraggeber genauer. Das scharfgeschnittene Gesicht zeugte von Willenskraft, die von der helmartig geschnittenen, grauen Frisur noch betont wurde. Als er sich mir zuwandte, fing ich einen Blick auf, der ohne Mühe einen Zehnmarkschein zum Brennen gebracht hätte. Ich konnte mir vorstellen, dass es vielen Leuten Schwierigkeiten machte, ihm in die Augen zu blicken. Nach ein paar Sekunden merkte ich, dass ich angefangen hatte, mich zu kratzen. Wütend betrachtete ich meine Finger, während er den Rest meiner früheren Existenz musterte.
    »Für einen Detektiv haben Sie erstaunlich viele juristische Fachbücher«, bemerkte er.
    »Ich war mal Rechtsanwalt«, warf ich leichthin ein.
    »Ach so.« Wieder durchbohrte er mich mit seinem Blick, bis ich ein hohles Gefühl im Magen verspürte. »Mit Rechtsanwälten habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.«
    »In jedem Beruf gibt es schwarze Schafe.«
    »Ja, natürlich.«
    Er wanderte weiter und studierte jetzt die Titelseiten der Philatelisten- und Numismatikerblätter, die auf meinem Schreibtisch lagen. Das Verbandsorgan des Detektivbundes hatte ich dummerweise mit nach Hause genommen.
    »Wie kommt ein Rechtsanwalt dazu, Briefmarkenhändler zu werden?«
    »Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man sich abrackern und Karriere machen oder ob man in Ruhe alt werden will.«
    »So alt sind Sie doch noch gar nicht.«
    »Alt genug. Außerdem habe ich ja mein Detektivbüro als Ausgleich, wo juristische Kenntnisse nicht von Nachteil sind.« Dass man mir die Anwaltslizenz lebenslänglich entzogen hatte, brauchte ich ihm ja nicht auf die Nase zu binden.
    »Was haben Sie denn für Referenzen als Privatdetektiv? Irgendwelche Diplome?«
    Allmählich ging mir auf, dass er die Hausherrn- und Gastrolle vertauscht hatte. Wenn ich nicht länger wie ein dummer Prüfling dastehen wollte, musste ich etwas unternehmen.
    »Fernstudium mit Abschluss«, sagte ich mit leichter Schärfe im Unterton. »Im Übrigen darf sich jeder Detektiv nennen, der in der Lage ist, bei einem Handwerker ein Hausschild in Auftrag zu geben. Aber ich zeige Ihnen gern mein Diplom. Vielleicht möchten Sie auch den Mitgliedsausweis des Fachverbandes sehen?«
    Er war keine Sekunde
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