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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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Um Willis persönlicher Lebensgestaltung entgegenzukommen und meine Kosten so niedrig wie möglich zu halten, verkürzen wir die Öffnungszeiten, wenn Willi mich im Laden vertritt.
    Es war Montagmorgen kurz nach elf, als er ankam. Er sah ziemlich übernächtigt aus und die fettigen Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht. Lange Haare sind zwar neuerdings wieder in Mode, aber an meiner Kundschaft, die zum Teil recht konservativ denkt, ist diese Mode schon beim ersten Mal vorbeigegangen. Deshalb habe ich Willi zur Auflage gemacht, während der Dienstzeit einen Zopf zu tragen.
    »Ich weiß, ich weiß«, winkte er ab, »ich bin direkt aus dem Bett hierher gestürzt. Nicht mal zu einem Frühstück hat's gereicht.«
    »Kaffee ist in der Maschine«, sagte ich, »das andere musst du dir selbst besorgen. Wie geht's denn so?«
    »Ach, ich bin heute Nacht völlig versackt. Aber sonst geht's mir gut. Ich mach zurzeit völlig neue Erfahrungen.«
    »Eine neue Frau?«
    »Nein, nicht so. Schamanismus.«
    Ich hatte schon davon gehört, dass immer mehr Leute mit nackten Füßen über glühende Kohlen liefen oder ähnlichen Unsinn machten, doch Willi sah das natürlich viel wissenschaftlicher.
    »Das hat eine wahnsinnig alte Tradition. Lange bevor Christus das Licht der Welt erblickte, holten Schamanen in Sibirien den Regen vom Himmel oder heilten Menschen. Von der schamanischen Heilweise könnte sich die heutige Medizin eine Scheibe abschneiden. Keine Drogen, die die Schmerzen betäuben und die Krankheiten nur verdrängen. Der Schamane sucht die Seele des Kranken und führt sie in den Körper zurück. Das ist Psychosomatik, sage ich dir. Das solltest du auch mal probieren. Vielleicht wirst du dann deine Juckerei los.«
    »Kennst du einen Schamanen, der auf Krankenscheinbasis arbeitet?«
    »Hab ich dir heute schon gesagt, dass du ein bescheuerter Ignorant bist, Georg?«
    Wie sich herausstellte, hatte Willi an einem Workshop in einem der örtlichen alternativen Bildungswerke teilgenommen. Ein süddeutscher Schamane hatte dort einen Vortrag über Schamanismus gehalten und anschließend den Teilnehmern eine schamanische Abenteuerreise geboten. Willi erzählte von einem blitzschnellen unrhythmischen Trommelwirbel, durch den er in eine Art Trance verfallen sei. Kopfüber sei er in die Erde hinabgesaust und habe sich in einer Grotte mit plätscherndem Bach wiedergefunden. Später sei er einem Wolf begegnet und wie ein Vogel über einer Insel geschwebt. Willi hätte noch lange so weitergeredet, wenn ich ihn nicht mit einem Blick auf meine Armbanduhr gestoppt hätte.
    »Wen musst du denn eigentlich beschatten?«
    »Niemanden. Ich soll einen Mord aufklären.«
    »Echt? Das ist ja geil.«
    »Die Spurensuche wird allerdings etwas schwierig, weil das Opfer schon seit zwanzig Jahren tot ist.« Ich erzählte ihm kurz von meiner gestrigen Begegnung mit Pobradt. Willi schüttelte abwechselnd den Kopf und stieß Begeisterungslaute aus. Gegen halb zwölf kam ich endlich los.
     
    Ich hatte nicht mehr viele Freunde im Polizeipräsidium. Genau genommen gab es nur noch einen Kriminalbeamten, der mir wohlgesonnen war, weil ich ihm einmal einen nicht ganz legalen Gefallen getan hatte.
    Ich stellte meinen Wagen gegenüber dem Präsidium im Parkverbot ab und stiefelte, nachdem ich den Pförtner mit einer Ausrede überwunden hatte, durch die schwimmbadähnliche Eingangshalle.
    Klaus Stürzenbecher besaß ein Büro im fünften Stock. Ich klopfte und wartete nicht auf eine Antwort. Stürzenbecher telefonierte und hob abwehrend die rechte Hand. Ich grüßte ihn mit einem Winken und setzte mich auf die freie Kante eines ansonsten mit Akten beladenen Ledersessels. Während ich mir einen Zigarillo ansteckte, rollte er mit den Augen und säuselte ins Telefon: »Herr Kriminalrat, ich weiß, dass es unangenehm ist, dass wir keinerlei Spur vorweisen können. Aber die Leiche lag dreiundzwanzig Tage in dem Apartment. Wer erinnert sich schon, ob er vor dreiundzwanzig Tagen etwas gehört oder gesehen hat?« Stürzenbecher versicherte noch ein paarmal, dass er sein Möglichstes tun werde, dann legte er mit einem Seufzer auf.
    »Was willst du hier?«
    »Ich brauche ein paar Auskünfte.«
    »Es ist nicht gerade angenehm für mich, wenn ich zusammen mit dir gesehen werde. Du bist hier noch bekannt wie ein bunter Hund.« Stürzenbecher dachte an seinen Kriminalrat und straffte innerlich das Rückgrat. »Na gut. Schieß los!«
    »Kennst du den Fall Pobradt?«
    »Das ist doch schon
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