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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen
Autoren: Juergen Kehrer
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und solide, aber wenig originell.
    Nach fünf Minuten kam sie wieder. »Mein Bruder«, erklärte sie. »Er sagt, ich soll Sie rausschmeißen.«
    »Machen Sie immer, was Ihr Bruder sagt?«
    »Nein.«
    Langsam wurde sie mir sympathisch.
    »Ich habe nichts zu verbergen. Fragen Sie, was Sie fragen wollen. Je schneller der Spuk vorbei ist, desto besser.«
    »Wie alt ist Ihr Bruder?«
    »Fünfunddreißig. Zehn Jahre älter als ich.«
    »Haben Sie noch mehr Geschwister?«
    »Nein.«
    »Waren Sie damals dabei, als es passierte?«
    »Ich war in meinem Zimmer und habe gespielt. Dann hörte ich den Schuss und wollte nachsehen, was da los war, aber meine Mutter fing mich im Flur ab.«
    »Ist Ihnen sonst irgendetwas aufgefallen?«
    »Ich war ja erst fünf Jahre alt. In dem Alter denkt man an nichts Böses.«
    »Was hat Ihre Mutter gesagt?«
    »Dass ich weiterspielen soll. Dann hat sie die Tür zu meinem Zimmer abgeschlossen.«
    »Wissen Sie, wo sich Ihre Mutter vorher aufgehalten hat?«
    »In der Küche. Sie hat das Mittagessen gekocht. Meinen Vater hat sie bestimmt nicht umgebracht.«
    »Warum nicht?«
    »Abgesehen davon, dass sie eine liebenswerte Frau ist, die keinen Menschen umbringt, könnte sie gar nicht mit einem Gewehr umgehen.«
    »Um einen Menschen aus einem Meter Entfernung zu erschießen, bedarf es keiner großen Geschicklichkeit.«
    »Aber man muss eine Patrone einlegen und den Sicherheitshebel lösen.«
    »Sie kann ihren Mann einmal dabei beobachtet haben.«
    »Er hielt das Gewehr und die Patronen in einem Eisenschrank verschlossen. Und den Schlüssel dazu trug er immer bei sich. Glauben Sie, er hätte ihr den Schlüssel gegeben und zugesehen, wie sie das Gewehr lud und auf ihn anlegte? Er wurde neben dem Gewehrschrank gefunden.«
    »Aus dem, was Sie sagen, entnehme ich, dass Sie sich damit beschäftigt haben.«
    »Ich habe oft mit meinem Bruder darüber gesprochen. Später, als ich älter war.«
    »Wo war Ihr Bruder eigentlich?«
    »In seinem Zimmer.«
    »Was geschah nachher?«
    »Meine Mutter brachte uns zu Verwandten in eine andere Stadt, ihren Verwandten. Mit mir hat sie einmal darüber gesprochen, als ich zehn Jahre alt war. Danach nie wieder. Von den Aktionen meines Onkels habe ich erst viel später erfahren.«
    Was sie sagte, klang ehrlich. Ich sah keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Aber es war der beschränkte Blickwinkel eines fünfjährigen Mädchens. Während mir diese Gedanken durch den Kopf schossen, rutschte sie auf der Sofakante herum.
    »Haben Sie Ihr Pulver verschossen? Oder gibt es noch etwas, was Sie unbedingt wissen müssen?«
    »Ja, etwas gibt es noch. Nach dem, was ich gehört habe, haben sich Ihre Eltern oft gestritten. Haben Sie davon etwas mitbekommen?«
    »Ich habe meinen Vater manchmal schreien hören. Mein Bruder hat mir erzählt, dass Vater auch zugeschlagen hat.«
    Von dieser Seite hatte ich Karl Pobradt noch nicht kennengelernt. Sollte die Geschichte von dem guten Menschen und der Schlampe, die sich die Pobradts zurechtgelegt hatten, ein Märchen sein?
    Da mir keine weiteren Fragen einfielen, stand ich auf. »Ich danke Ihnen, dass Sie mir so viel erzählt haben.«
    Sie stand ebenfalls auf und kam um den Tisch herum. »Müssen Sie jetzt noch meine Mutter interviewen?«
    »Falls ich nächste Woche noch an dem Fall arbeite, wäre das sicherlich sinnvoll. Aber ich kann niemanden zwingen, mit mir zu sprechen.«
    »Das würde Ihnen auch nicht stehen«, sagte sie und blickte zu mir auf. Sie war ungefähr einen Kopf kleiner als ich.
    »Unter anderen Umständen würde ich jetzt auf Wiedersehen sagen. Ich vermute, dass Sie keinen Wert darauf legen.«
    »Vielleicht treffen wir uns mal unter anderen Umständen. Ich heiße Katharina.«
    Mit einem stimulierenden Adrenalinschock in den Adern verließ ich das geordnete Heim der Familie Pobradt. Ob die Oma wohl noch so trüb in die Welt gucken würde, wenn ihr diese Enkelin über den Weg liefe? Aber dann gäbe es auch keine Arbeit für mich. Der Gedanke an Arbeit brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Das eine oder andere wollte ich heute noch erledigen, und am besten tat ich es gleich.
     
    Dank des unverrückbaren Ladenschlussgesetzes fand ich direkt vor meinem Geschäft einen Parkplatz. Willi hatte die bescheidenen Tageseinnahmen in der Kasse gelassen und auf einem handschriftlichen Zettel die Abrechnung beigefügt. Darunter stand: Das Wassermannzeitalter ist die Endstufe der Menschheitsentwicklung. Briefmarken und Münzen werden dann
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