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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe
Autoren: Francesca Melandri
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wurden, hatte diese Insel sie erfasst mit ihrem Geruch. Ihre Herzen, wie in der Erinnerung an eine große verlorene Liebe, setzten einen Schlag aus, ihre Körper, durch die Haft verkümmert, erfüllte neues Verlangen. Manch einer blieb stehen, ließ Schläge und Tritte über sich ergehen, nur um die Insel wieder und wieder ganz tief in sich aufzunehmen.
    Es roch nach Salz, nach Feigen und Strohblumen.

BESUCHE

D ie Insel lag nicht auf hoher See, auch wenn es so schien. Vom Festland, eigentlich auch nur eine Insel – wenngleich eine der größten des Landes –, trennte sie eine Meerenge. Auf den ersten Blick konnte man meinen, dass sie schwimmend leicht zu durch queren wäre. Die Winde, die durch sie hindurch fegten, trugen alles fort, jeden Dampf, jeden Rauch, jede Unreinheit der Luft, selbst die schwärzlichen Wolken der Ölraffinerie am Hafen, und so wirkte die Insel so nahe, als könne man hinübergreifen. Aber das täuschte. Ihre klaren Umrisse verdankte sie dem starken Atem des Mittelmeeres, das sich von hier aus weit und leer bis nach Gibraltar öffnete und in der Meer enge Strömungen zusammenführte, die tatsächlich eine Durchquerung für jeden noch so guten Schwimmer unmöglich machten.
    Selbst für Schiffe war es nicht leicht, diese Meeresstraße mit dem Wasser von der Farbe kupfersulfatblauer Reben zu überqueren. Darunter wimmelte es von tückischen Felsen, die unversehens jeden Kiel aufschlitzen könnten, wenn man sie in einem Wellen tal überfuhr. Und bei den wandernden Sandbänken auf dem Meeresgrund ließ sich nur mithilfe eines Echolots feststellen, wohin der letzte Südweststrom sie getrieben hatte. Um von dem Industriehafen auf der großen Insel hinüberzugelangen, musste also der Bug fast in entgegengesetzte Richtung, aufs offene Meer hinaus, gerichtet werden. Erst nach einigen Seemeilen konnte man das Steuerrad drehen und auf die beiden wie Kamelhöcker geformten Erhebungen zuhalten. Und schon kurz darauf war dann von der Raffinerie mit ihren Schornsteinen, rot und weiß wie riesengroße Zuckerstangen, fast nichts mehr zu sehen.
    Die Insel lag nicht auf hoher See, auch wenn es so schien. Ganz ähnlich wie ich, dachte Paolo. Und sofort war ihm, als höre er Emilia sagen: Hör doch auf, in allem Symbole zu erkennen. Die Dinge sind das, was sie sind. Mehr nicht. Es war noch die fröhliche Stimme der selbstbewussten jungen Frau, die, frischverheiratet, seinen Kopf zwischen die Hände genommen und auf ihre Brust gelegt hatte, damals als der Schmerz sie noch nicht vernichtet und sie ihm genommen hatte.
    Paolo lehnte sich über die Brüstung und blickte in den weißen Schaum, der durch das Zusammenspiel von grauem Stahl und nachtblauem Meer entstand. Das Kielwasser des Passagierschiffes spreizte sich v-för mig auf einer fast öligen Oberfläche. Als sie, nach der Überfahrt mit der Autofähre, auf der Mole auf dieses Schiff warteten, hatte Paolo einen vielleicht dreißigjährigen Mann sagen hören, dass die glatte See wohl nichts Gutes verheiße. Er trug die graue Uniform des Gefängnispersonals, aber seine feinen Gesichtszüge hätten auch die eines Seminaristen oder Schauspielers sein können. Eine Hand an der Pistolentasche, hatte er das Einholen des Landungsstegs überwacht, als wollte er sicherstellen, dass niemand heimlich an Bord ging. Paolo hatte sich gefragt, wer sich bloß unbemerkt an Bord schleichen sollte, um ausgerechnet auf diese Insel zu gelangen. Und er hatte sich selbst nur eine Antwort geben könne.
    Die Komplizen eines Ausbruchs.
    Â»Und der Mond hatte heute Nacht einen Hof«, fügte der Vollzugsbeamte mit den feinen Gesichtszügen noch an. Er sprach mit einem Matrosen, der gerade das letzte Tau von der Landebrücke löste. Dieser sog die Luft zwischen den Zähnen ein, wie um die Ängste des anderen zu zerstreuen, und erklärte dann in einem Dialekt oder einer Sprache, von der Paolo nur einen Teil verstand und den Rest erraten musste: Sein Kapitän werde die Fähre ganz sicher rechtzeitig zurückbringen, heute komme sein Sohn aus den USA zurück, da habe er bestimmt nicht vor, sich von einem Seesturm auf der Insel festhalten zu lassen.
    Paolo betrachtete das Meer. Einen Moment lang ver gaß er, wer er war und wohin er fuhr, vor allem aber aus welchem Grund. Sein Blick ruhte nur auf dem Wasser, das ihn umgab. Es war immer noch so
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