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Am Fluss des Schicksals Roman

Titel: Am Fluss des Schicksals Roman
Autoren: Elizabeth Haran
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PROLOG
    Echuca, 1866

    E in schriller Pfiff kündete von der Einfahrt des Zuges aus Melbourne in den geschäftigen Hafen von Echuca am Murray River, der hier die Grenze zwischen Victoria und New South Wales bildete. Als fauchend eine Dampfwolke aus dem Schornstein der Lok emporschoss und sich im Dickicht aus Eukalyptusbäumen verlor, das sich am Fluss entlang erstreckte, flatterten auf der anderen Uferseite, in New South Wales, die Kakadus mit protestierendem Kreischen von ihren Ruheplätzen in den Ästen der Bäume.
    Der Bahnsteig befand sich neben dem dreistöckigen, von Eukalyptusbäumen gesäumten Pier – eine hässliche Konstruktion, eine Viertelmeile lang und mehr als sechs Meter hoch. Hier herrschte rege Betriebsamkeit. Die Hafenarbeiter – kräftige, narbengesichtige Raufbolde mit einer Schwäche für Rum und Faustkämpfe – waren damit beschäftigt, Holz, Tabak, Mehl, Tee, Wein, Branntwein und Weizen von den gut fünfzig Raddampfern zu löschen, die am Pier ankerten, oder die Schiffe mit Wolle, Stoffen und Gerätschaften zu beladen. Es war vier Uhr nachmittags, kurz vor Feierabend, und viele Arbeiter warfen sehnsüchtige Blicke zum Star Hotel an der Hafenpromenade, in dem sich die nächste der über zwanzig Schänken und Bars der Stadt befand.
    Ein paar Dampfer nahmen vom Pier aus Kurs nach Westen, nach Wentworth, wo die Flüsse Murray und Darling zusammenströmten. Die Wollballen auf den Güterwagons am Ende des Zuges sollten per Raddampfer zur Mündung desMurray transportiert werden, wo sie auf Frachter umgeladen wurden, die dann die Märkte in London ansteuerten. Auch Schafscherer nutzten die Raddampfer, um zu einer der zahlreichen Stationen überzusetzen, die den mehr als tausendsechshundert Meilen langen Fluss säumten – von der Quelle in den Snowy Mountains bis nach Goolwa, wo der Murray in den Pazifik mündete.
    Unter den Zugpassagieren waren Joe und Mary Callaghan. Sie waren nach Echuca gekommen, um einen Raddampfer zu übernehmen, dessen Bau sie vor einem Jahr in Auftrag gegeben hatten. Nachdem ihre Reisekiste vom Zug abgeladen war und sie ihre Koffer in den Händen hielten, schafften sie es kaum, sich einen Weg durch das Gewimmel auf dem überfüllten Bahnsteig zu bahnen, während die Arbeiter sich daranmachten, die Fracht von den hinteren Wagons abzuladen. Es war Marys erster Aufenthalt in Echuca, während Joe bereits vor einem Jahr in der Stadt gewesen war, um eine Kaution zu hinterlegen und die Baupläne für den Raddampfer zu besprechen; zuletzt war er einen Monat zuvor in Echuca gewesen, um mit Ezra Pickering, dem Schiffbauer, die letzten Einzelheiten zu klären.
    Nach harten Jahren auf den Goldfeldern konnte Mary der Anblick der derben, heruntergekommenen Gestalten auf dem Pier nicht mehr schockieren, und auch nicht die Dirnen, die auf der Promenade umherstolzierten und auf Kunden warteten. In den vergangenen zwei Jahren hatte Mary genug davon gesehen. Sie freute sich auf ihr neues Leben, auf die friedliche Atmosphäre am Fluss und darauf, in einem richtigen Bett zu schlafen, ohne jeden Morgen vom Scharren der Schaufeln und dem Murren verkaterter Männer geweckt zu werden.
    Beim letzten Besuch Joes im Hafen von Echuca hatte es geregnet, doch heute funkelte die Sonne auf der friedlichen grünen Wasseroberfläche des Flusses, auch wenn einestürmische Brise wehte. Tief im Herzen hoffte Joe, dass dies ein gutes Zeichen war.
    Es war der aufregendste Tag im Leben von Joe und Mary Callaghan – und das Ende eines zwei Jahre währenden Albtraums auf den Bendigo-Goldfeldern. Die ersten sechs Monate hatten sie in einem kleinen, geflickten Zelt geschlafen und oft knöcheltief im Schlamm gestanden, um mit den anderen Schürfern, unter denen die Ruhr und das Fieber grassierten, nach angeschwemmtem Gold zu suchen. Als sich zeigte, dass es viel länger als erwartet dauern würde, auf eine Goldader zu stoßen, errichteten Mary und Joe eine Hütte aus Holzabfällen mit festem Bretterboden. Dennoch war ihr Leben eine Qual gewesen, besonders für Mary, die im Winter jämmerlich fror, während ihr im Sommer die Gluthitze zusetzte. Es war ihr vorgekommen, als würde ihr Leben sich nur noch um drei Eimer drehen: Der erste voller Trinkwasser, der zweite, um sich selbst und die Wäsche zu waschen, während der dritte als Toilette diente. Jeden Tag, wenn Joe auf den Goldfeldern bis zur Erschöpfung arbeitete, kümmerte Mary sich um das Feuer und die drei Eimer, die sie ständig leerte und füllte, leerte und
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