Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe
Autoren: Francesca Melandri
Vom Netzwerk:
E ine Luft, so voller Düfte, nein, das hätten sie nicht erwartet.
    Dass sie nachts kämen, das schon, das hatten sie sich immer so vorgestellt, und als sie dann aus den Gefängnissen in ganz Italien, in denen sie einsaßen, herausgeholt wurden, war der Himmel tatsächlich noch so schwarz wie ein fauler Zahn.
    Mit Chinooks rückten sie an, ta-tà ta-tà ta-tà, so als kämen sie nicht aus Praia a Mare oder Viterbo an geflogen, sondern geradewegs aus Vietnam. Es waren Soldaten, die herumbrüllten, und andere – blonde Männer mit geschorenen Schädeln –, die stumm blie ben wie Fels und den Ablauf der Aktion überwachten. Amerikaner, wie man später erfuhr. Aber auch das wunderte sie nicht.
    Sie hatten Todesangst, und doch blickten sie, bevor sie im Bauch des Hubschraubers verschwanden, alle noch einmal zum Himmel hinauf. Er war fast dunkel: Neumond. Auch das war bei der Planung der Operation bedacht worden, dass das Meer nicht vom Vollmond erhellt und mit silbernem Glitzern, von oben betrachtet, die Küstenlinie verraten würde. Nur das Licht der Sterne, die flimmernd und unverrückbar an ihrem Platz am Himmel standen, hatten selbst die Agenten des Imperialismus und des Kapitals nicht zu löschen vermocht. Manche Gefangene hatten die Sterne schon seit Monaten nicht mehr gesehen, andere seit Jahren. Wer hätte schon sagen können, wann sie sie je wiedersehen würden, wenn überhaupt.
    Sie waren bereits seit einer Weile in der Luft, als sich ein Soldat im Tarnanzug in munterem Ton an sie wandte:
    Â»So, aufgepasst, wir öffnen jetzt die Klappe und bringen euch das Fliegen bei«, erklärte er, wie um den vielen Stimmen im Land recht zu geben, die damals der Ansicht waren, dass in Italien längst Zustände wie in Südamerika herrschten. Doch hinausgeworfen wurde dann niemand.
    Nach der Ankunft, auf dem kurzen Weg zwischen den Hubschraubern und dem weißen Gebäude, wurden sie mit Fußtritten und Knüppelhieben traktiert, damit ihnen keine Zeit blieb, sich zu orientieren und sich darüber klar zu werden, wo sie gelandet waren. Doch eine gewisse Ahnung hatten sie bereits. Seit Wochen erzählte der Gefängnis-Buschfunk von emsigen Arbeiten an einem großen flachen Gebäude am äußersten Ende einer Insel, weit entfernt sogar von den kleineren Gefängnissen auf dieser Insel, von den normalen Häftlingen, den Verwaltungsbüros, der Landebrücke, dem Dorf mit den Wohnungen der Aufseher, mit Schule und Kirche, weit ab sogar von dem einsamen Leucht turm auf seiner Klippe, kurzum, fern von Gott, fern von den Menschen, fern von der ganzen Welt. Hinzu kam, dass sich einige Zeit zuvor im Kreis bestimmter Parlamentarier, die seit Monaten jede Nacht in einer anderen Wohnung schliefen und dabei Geld und Pass stets griffbereit auf dem Nachttisch liegen hatten – das Gerücht verbreitet hatte, im Falle eines Militärputsches würde eben dort, auf dieser Insel, ein Lager eingerichtet. Dorthin wollte man die namhaftesten politischen Gegner deportieren.
    Zunächst pferchte man die Gefangenen in einem großen Raum zusammen und gab ihnen nichts zu essen, nur ein wenig schmutziges Wasser zu trinken. Am dritten Tag hatten sie alle Bauchschmerzen, lahme Glieder, Kopfschmerzen, aber ihnen war klar, dass sie sich glücklich schätzen mussten, nach drei Nächten hier drinnen überhaupt noch am Leben zu sein. Damit hatten sie vor der Verlegung oder besser Ȇberführung« nicht unbedingt rechnen können. Vom vierten Tag an bekamen sie Nahrung. Einige wenige, von den anderen sehr beneidet, hatten sogar wieder Stuhlgang. Mehr und mehr nahm ihnen der Gestank den Atem, aber sie trösteten sich mit dem Gedanken, dass der Mief auch die Aufseher erfasste, wenn sie durch den einzigen Spion einen Blick zu ihnen hinein warfen. Nach einer Woche wurden sie zum Duschen gebracht. Das Wasser war kalt und kam nur in Schüben, doch für sie war es ein unermesslicher Genuss. Nummern, Häftlingskleidung, Zellen wurden verteilt, und der Alltag begann in diesem neuartigen Gefängnis mit den ganz besonderen Haftbedingungen. Kurzum, im Grunde war alles mehr oder weniger so, wie sie es erwartet hatten.
    Nur dieser Duft, der war etwas anderes. Mit dem hatte selbst der weitsichtigste Planungschef, der er fahrenste Lebenslängliche nicht rechnen können. Wäh rend sie unter Gebrüll und Tritten aus den Chinooks getrieben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher