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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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nicht genau, wo hinschauen.
    »Nicht daß ich irgend etwas auf deine Mutter abschieben möchte, aber in dieser Angelegenheit hat sie entschieden.« Der Chef räuspert sich. »Sie ist jetzt von uns beiden enttäuscht. Von mir, weil ich dich, als ich es endlich wußte, nicht sofort zurückholen habe lassen. Und von dir, weil du es tatsächlich über dich bringen konntest, zu gehen.«
    Es ist die gute alte Extrastube des SPANFERKELS, sozusagen für beide eine höchst vertraute Umgebung. Die allenthalben spürbare Peinlichkeit rührt also anderswo her.
    »Ich weiß zu wenig von dir, um dich und deine Handlungsweise zu verstehen. Ich habe weder Kummer mit dir gehabt noch Freude. Ich habe dich immer nur am Rande mitgekriegt. Aber selbst wenn ich früher gewußt hätte, was ich jetzt weiß, hätten wir nicht viel voneinander gehabt, wie du dir denken kannst. Du bist klug genug, um das einzusehen. Ich habe, wie man so euphemistisch sagt, Karriere gemacht. Jetzt hocke ich auf der obersten Sprosse und könnte zufrieden sein. Aber irgendwas ist schiefgelaufen, von Anfang an wahrscheinlich. Es sind nicht nur die Abnützungserscheinungen. Wir haben uns daran gewöhnt, überall lieb Kind zu sein, drum vertragen wir allesamt keine Kritik mehr, nicht einmal als Volk. Auch nicht, wenn wir gelogen, gestohlen, betrogen und umgebracht haben, wie alle anderen auch.
    Ich habe einen Operettenstaat geerbt, der die längste Zeitvon einem glänzenden, ja sogar intelligenten und weltweit bekannten Bariton dirigiert worden ist. Ich hingegen bin keiner, nicht einmal ein überzeugender Baß – ich kann überhaupt nicht singen. Das Volk aber ist an die Vorstellungen gewöhnt und will mich in meiner schlichten Art gar nicht dirigieren sehen. Dabei könnte ich das möglicherweise, obwohl es immer schwieriger wird, einen Haufen Mündiger zusammenzuhalten, die zwar um ihre Rechte raunzen, aber keinen Überblick haben. Und wie beschwichtigst du all die gewachsenen Pfründner, die Parteigänger des Einflusses, die mit ihrer Gesinnung jahrzehntelang die Gewinner waren? Die schreien sofort, wenn du ihr Angestammtes auch nur überdenkst. Das sind die wahren, die gefährlichen Strukturfestiger, wo immer sie sitzen mögen, ob in den Ämtern oder in der staatseigenen Wirtschaft. Ich sage dir, das sind die eigentlichen Brutusse.« Der Chef wischt sich mit einem Riesensacktuch die Stirn und läßt einen großen Schluck Goldhelles nachrinnen.
    »Was jetzt passiert, hat lange schon in dem Volk gesteckt. Daß es so und jetzt ausbrechen würde, das war nicht vorauszusehen. Und doch ist der Verlauf geradezu typisch. Schimpfen dürfen wir höchstens selber, aber wehe von außen traut sich einer. Das ist keine Frage des Rechthabens, sondern man muß der Rechte dazu sein! Von draußen wird uns vorgehalten, wir seien zu wenig radikal vorgegangen bei der Ausmerzung der falschen Gedanken. Darauf habe ich zwei Antworten: Radikal waren die Braunen und undemokratisch. Daher die Angst. Wie radikal läßt sich eine Entbräunung mit demokratischen Mitteln durchführen? Die Erste Republik ist ziemlich schlecht gefahren mit ihren Radikalisierungen, also hat man es in der Zweiten auf die Gemütliche probiert. Ein so kleines Land kann sich nicht einmal den Hauch eines Bürgerkriegsleisten. So weit – so gut, aber daß es sich dann so blöd abspielen muß, damit hat keiner von uns rechnen können. Ja, du hast richtig gehört. Natürlich haben wir die Finger im Spiel gehabt. Noch kann nichts geschehen, wo wir nicht zumindest mitmischen. Vergiß nicht, immerhin sind wir an der Macht. Natürlich waren wir früher gescheiter, als wir nicht an der Macht waren. Aber das ist eine Binsenweisheit, und ich habe keine Lust, mich weiter damit abzugeben. Du verstehst also, wir haben leichtsinnig, ja geradezu verantwortungslos gehandelt, eigentlich herumgespielt, weil wir uns sicher waren, zu sicher. Und wieder ist es keine Frage des Rechthabens, denn diesmal haben wir zufällig recht gehabt, sondern eine Frage des Verlaufs, und als Ergebnis stehen wir jetzt im Regen. Und die ganze Welt hält uns für Strizzis.« Wehmütig schaut der Chef in sein leeres Glas, schwenkt es ein wenig, um einen letzten Schluck zusammenrinnen zu lassen.
    »Was mich angeht, ich bin müde. Früher hätte einer wie ich bis zum letzten gekämpft. Wir halten nichts mehr aus. Von den Medien in eine Fallgrube nach der anderen gehetzt, von den Umfrage-Instituten ins Out gefragt, von den eigenen Beratern andauernd in ein
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