Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
Vom Netzwerk:
Eindringlichkeit haben ihre Augen vorderhand stumpf gemacht für die unschärferen Kontraste, und selbst Edvard, der noch immer gerührt ihre Hand hält, kommt ihr irgendwie entfärbt vor. Nur der leise Schnapshauch, der auf die Aufregung des Wartens zurückzuführen ist, schlägt in alter Vertrautheit an ihre Nase und läßt sie Heimkehr erleben.
    Und natürlich hat Edvard die unvermeidliche Frage gestellt, nämlich wie es gewesen sei. Ja, wie soll es denn gewesen sein? Jede Antwort darauf ist ein sprachliches Hohnlachen, Blasphemie und Banalität in einem. In diesem Konflikt quetscht Borisch Edvards eheberingte Rechte, bis er mit den Zähnen zu knirschen beginnt.
    Der jüngere Heyn, Mela und Frô haben, Gott sei Dank, einanderes Taxi genommen, Borisch ist froh, daß sie der Grabesstimmung entkommen ist. Man hat Frô ansehen können, wie schwer es ihr fiel, sich loszureißen, und Mela, wie schwer es ihr fiel, das mitanzusehen. Borisch sehnt sich nach einer Zeit, in der die Dinge ins Lot gekommen sein werden und sie Mela wieder so richtig in die Finger kriegt, ihr die Waden beim Massieren nach vor richten kann, während Mela vor Wohlbehagen beinah grunzen wird.
    »Es war, es war …« Borisch martert sich um ein treffendes Wort. »Es war … so schön anders. Wie wenn man aufwacht in ein ungeheures Stimmengewirr hinein, und alle sagen was Bedeutendes. Aber erstens versteht man es nicht, und zweitens scheinen die Leute sich nicht einigen zu können.« Edvard, erfolgreich ihrer Hand entkommen, hängt ergeben an ihren Lippen.
    »Die Stadt … du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn du einfach so über die Jahrtausende stolperst, die Ruinen aber noch immer bewohnt sind. Und wenn du dir dann vor Augen führst, daß die Türken und die Unsrigen die zwei reichsbildenden Kräfte waren, die zwischen Wien und Istanbul hinter allem, was geschehen ist, gesteckt sind, dann hast du das Gefühl, du gehst in lauter ausgetretenen Spuren. Übrigens war ich auch einmal in einem öffentlich Dampfbad!«
    »Und?« fragt Edvard, weniger aus Interesse – Bäder sagen ihm wenig –, als um sich wieder einzuschalten.
    »Wunderbar. Fast so schön wie in Budapest.«
    Das Taxi nähert sich dem Stadtgebiet. Eine Ampel schaltet sich auf Rot. Folgsam bleiben alle Autofahrer stehen, obwohl niemand aus der Gegenrichtung kommt. Aber Borisch befindet sich fahrtechnisch noch im Orient. »Mein Gott, warum stoppen die denn jetzt alle, die halten doch nur den Verkehrauf.« Sie wendet sich kopfschüttelnd an Edvard. »Keinerlei Improvisationsgabe. Hauptsache, man hält sich an die Regeln … stur, stur, stur.«
    Erst jetzt erfaßt Edvard Borischs noch immer veränderten Blickwinkel. »Höchste Zeit, daß du zurückgekommen bist. Mir scheint, du stellst bereits höchste abendländische Werte in Frage. Das kann dem Abendland keinesfalls guttun. Übrigens haben schon deine Kinder nach dir gefragt.«
    »Was?« Borisch staunt Edvard fassungslos an. »Die Kinder?«
    »Unser Sohn, der Ozeanograph, hat sich erkundigt, wie lange du noch in Istanbul bliebest, denn er kommt demnächst dort vorbei; aber das hat sich ja wohl erübrigt. Deine Tochter wollte neulich per Telefon – ich glaube von Frankreich aus – das Rezept für ungarische Fleischpalatschinken, und Laci macht seit gestern bei uns Station. Er bereitet das Empfangsdiner vor und behauptet, er könne bis übermorgen bleiben, doch sind diesbezüglich, wie immer, Zweifel angebracht.«
    »Ja, warum sagst du denn das nicht gleich, du Monster«, und vor Freude klatscht Borisch in die Hände. »Laci ist hier. Kaum zu glauben. Seit zwei Jahren habe ich ihn nicht zu sehen gekriegt. Na warte nur, laß mich ihn erst in Reichweite haben, dann werde ich ihm was erzählen. Was glaubt er überhaupt, der Bengel, zwei Jahre. Und jetzt sicher auch nur für einen Sprung …« Borischs Tirade dauert bis an die Haustür. Nachdem der Taxifahrer angehalten hat, dreht er sich herum, um die Frau anzusehen.
    »Haben Sie aber einen Atem«, sagt er, verwundert den Kopf wiegend, dann nennt er den aufgerundeten Fahrpreis, korrigiert sich aber sogleich, um nicht zu riskieren, daß Borisch auch ihm die Leviten liest.
    Bevor er aussteigt, zwinkert Edvard ihm spöttisch zu, wasden Taxifahrer noch mehr entgeistert. Der kann auch noch zwinkern, denkt er, während er Gas gibt. Das muß ein Steher sein, daß der auch noch zwinkert.

    »Dir ist klar, daß ich nichts gewußt habe? Und das die ganze Zeit über?«
    Frô nickt und weiß
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher