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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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außenpolitischen Beraterin lesen lassen, sie sollte die markanten Stellen ankreuzen. Leider erst nach dem Staatsbesuch erschienen, dennoch – Wissen ist Wissen. In Ungarn soll es also noch so etwas wie das Volk geben. Wie hieß es bei dem deutschen Dichter? – »Verwittert, aber nicht zerstört.« Er kann es sich zwar nicht erlauben, so was zu sagen, aber er freut sichüber den Vergleich. Vielleicht hätte er den Wunsch geäußert, die Alte Markthalle zu besichtigen, und dabei das Volk gesehen, ein Volk, aus dem auch ein Teil seiner Altvorderen stammte, aber man hätte ihn doch nicht hingeführt – wieso ausgerechnet die Alte Markthalle? –, und er hätte auch nichts sagen können, weil es dort, wie der Dichter schreibt, noch das Volk gibt.
    Warum wohl die eigenen Dichter, die heimischen Preisträger und Stipendienempfänger, keine solchen Essays schrieben? Nicht daß er etwas gegen Literatur hätte, aber die heimische war immer gleich so übertrieben, gar nicht aufklärerisch oder zumindest unterhaltend, sondern schlichtweg überspannt. Da gibt er einen Haufen Geld für die aus, und doch schreiben sie nichts, was sich zitieren ließe. Diese Stichwortverweigerer ziehen sich in ihre Sprachküchen zurück und sind doch nur Idylliker, die sich auf die Wirklichkeit in diesem Land nicht einlassen. Im Grunde wollen die nur, daß es ihnen noch besser geht. Dabei haben sie das Wichtigste schon erreicht: extrem gleitende Arbeitszeit, keinen Streß, keine Fron. Was einer wie er sich täglich an Vollbrachtem abzwingt, ist für die natürlich lächerlich.
    Beim nächsten Kongreß wird man das einmal sagen müssen. Es gehört eine Literatur her, die zitierbar ist. Die Maler malen ja auch Bilder, die man in den Ministerien aufhängen kann. Zumindest könnte.
    Aber was ist wirklich mit dem Volk geschehen? Hat es sich samt und sonders versteckt, vermiddleclasst, verspießert? Noch gibt es das Staatsvolk, das Parteienvolk, das Fußvolk, das Volk der Bausparer und das Volk der Schifahrer. Aber schon schleudert der Begriff Volk – hast du’s nicht gesehen – in den der Nation hinüber. Und mit der Nation war das lange so eine Sache. Also aufpassen! Sonst wird er am Ende selbst noch zitiert.
    Was das Volk hinterlassen hat, ist zweifelsohne der Volksmund. Der Volksmund spricht aus uns allen, er eint uns, und wenn der Chef leutselig meint, Morgenstund ist für die armen Hund, spricht er auch aus ihm und bedeutet, daß selbst er, der Chef, sich im Sinne einer langen Tradition für den ersten – vielleicht auch den ärmsten, weil man ihn zur Rechenschaft zieht – Diener seines Staates hält. Zum Glück gibt es noch andere Traditionen wie die der häufigen Kommissionsbildung und des Delegierens von Problemlösungen an Entscheidungsermittlungsspezialisten. Er wird sich also im einzelnen schon zu helfen wissen.

    Was es auf sich hat mit dem Chef? Nicht viel. Er hat sich aufgedrängt. Wer Demeter sagt, muß Zeus sagen. Es geht um den Obersten, den an der Spitze. Und den kann ich mir nicht aussuchen. Schließlich brauche ich ihn als Figur. Der Chef soll am meisten zu sagen haben, zumindest nach außen hin. Also bleibt niemand anderer übrig.
    »Die Europäer denken zu vertikal«, sagt ein prominenter Japaner, »stellen sich den Himmel oben und die Hölle unten vor.«
    Dennoch bleibt das Bild vom Gipfel unwiderstehlich.

    Kommen wir wieder zum SPANFERKEL und zu seiner Entstehung, seiner Creatio, nicht ex nihilo, sondern im Kopf von Melanie, seiner späteren Wirtin, aus einem abfallenden Gedanken des Chefs, der etwas von der allgemein herrschenden Sauwirtschaft gesagt hatte, und das just in dem Augenblick, als sich im Kopf von Melanie ein Gedanke auf den Sprung machte, für den ausgerechnet das Wort Sauwirtschaft den Geburtshelfer spielen sollte.
    Aber nicht nur das SPANFERKEL, auch die gebräuchlichere Version von Melanie geht auf einen Zwischenruf des Chefs zurück. Als er ihr nämlich vor mehr als zwanzig Jahren – sie lagen beide auf einer sonnenfleckigen Wiese – erklärte, daß er nun ernstlich beschlossen habe, in die Politik zu gehen, und sie ihm mit geschlossenen Augen nicht zugehört hatte, nannte er sie Mela, wobei ihm wohl sein von den Vorgenerationen her ungarisch angelegtes Sprachhirn ein Signal zukommen hat lassen, denn wie sie später herausfinden sollte, heißt méla im Ungarischen träumerisch, verträumt, eine Bedeutung, die ihr zwar im Augenblick des So-genannt-Werdens anstand, ansonsten aber nicht ganz zum Wesen
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