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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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Hungaropolen, die sich einbildeten, die Welt warte auf sie, und vielleicht tut sie das auch. Alle drei sind bereits außer Landes, und gelegentlich schwärmt sie von ihren Erfolgen. »Weißt du«, sagt sie, »die haben sich schon zu Hause aufgeführt wie der Mongolensturm.«
    Mit fünfzehn erzählt Frô zum ersten Mal ihrer Mutter diesen Traum, weil er, wie sie sagt, immer wieder komme. Mela erschrickt. Noch nie hat Frô ihr einen ganzen Traum erzählt, nur: »Ich hab von dir geträumt oder von der Borisch oder vom Lehrer Saßmann.«
    Und wenn Mela fragte »Was?«, hieß es: »Ich weiß nicht mehr genau.«
    »Ich sitze in einem Zug«, sagt Frô, »und will zu dir fahren. Ich bin allein im Abteil, und der Zug hält auf offener Strecke, da schau ich zum Fenster hinaus. Das Licht rieselt. Der Gegenzug kommt, und wir fahren weiter. Auf der Böschung wachsen Heckenrosen, schwarzweiße Kühe stehen auf den Weiden, aber nirgends ist jemand. Ich weiß, daß wir in die verkehrte Richtung fahren, da bleibt der Zug wieder stehen. Ich steige aus und gehe die Schienen entlang, bis ich zu einem Bahnhof komme, in dem keine Menschen sind, nur Fahrpläne.Ein Wind wirbelt die Blätter durcheinander, eigentlich sind es Lebenspläne. Da weiß ich, daß ich tot bin.«
    Mela hat Frô umarmt und sie eine Weile festgehalten, aber Frô hat gar nicht geweint. Sie war nur verwundert, weil sie in Wirklichkeit noch keine schwarzweißen Kühe gesehen hatte.
    Und Borisch, der Mela Frôs Traum erzählte, wollte im Ägyptischen Traumbuch nachschauen, aber sie hatte es gerade verliehen, und dann kam die Rede nicht mehr darauf, obwohl Mela in all den Jahren immer wieder an diesen Traum hat denken müssen.
    Manchmal, wenn Mela erschöpft vom Geschäft in die Wohnung kommt oder wenn sie sich ärgern muß und genug hat vom SPANFERKEL, ein für alle Male, wie sie sich sagt, fällt ihr ein, für wen sie das alles tut, für ihr Kind natürlich, das niemanden hat außer ihr, der Mutter. Und dann beruhigt sie sich wieder, im Bewußtsein der Aufgabe, die ihrem Leben eine klare Richtung weist. Sie kann es sich gar nicht leisten, sich gehenzulassen, geschweige denn, alles hinzuschmeißen, wie sie es zuweilen gern möchte, wenn ihr das Wirtinsein bis zum Hals steht – hat sie doch ein Kind, von dem kein Vater weiß, und ihr stiller Triumph ist, daß auch keiner von ihm wissen wird. Nicht aus Prinzip, aber da es sich einmal so ergeben hat, hält sie auch daran fest. Und hin und wieder kommt ihr sogar vor, dieses Geheimnis schenke ihr eine besondere Kraft, die gewisse Menschen anziehe. Auch das Vertrauen des Chefs ist ihr, wie sie meint, dadurch erhalten geblieben, ein Vertrauen, das sich kaum je auf seine Regierungsgeschäfte erstreckt, sondern auf den leib-seelischen Bereich beschränkt und in dieser Dimension unerschütterlich ist. Sie hat ihn nie enttäuscht, und keine seiner ursprünglichen Befürchtungen hat sich in den Zügen von Frô bestätigt.
    Frô aber, die weiß, daß sie keinen Vater hat, hat eine Mutter, auf die sie sich verlassen kann, in welcher Lage auch immer, wie Mela zu ihr gesagt hat. »Was es auch ist, du kannst mir mit allem kommen.«
    »Ich geb schon acht«, hatte Frô erwidert, »daß nichts passiert.«
    »Was soll denn passieren?« hatte Mela, plötzlich irritiert, gefragt.
    »Ich weiß nicht.« Frô war offensichtlich mit den Gedanken woanders. »Manchmal passiert eben was.«

    »Hat zugenommen …« Gemeint ist die Konjunkturerwartung. Borisch zeigt auf den Bauch des Chefs, der, sich rechtfertigend wie ein Dompropst, der betrunken die Messe gefeiert hat, aus dem Fernseher dräut. Eine hilflose Drohgebärde, der unbewußte, aber deutliche Versuch, seinen fragenden Peiniger auf den Minimalabstand zurückzuscheuchen, den man selbst Raubtieren bei der Dressur einräumt.
    Die Sprache rächt sich dafür, daß sie als Magd der Verständigung angesehen wird, an dem ihr ausgelieferten Dienstgeber durch die hinterfotzigste Preisgabe seiner heimlichen Wünsche und läßt ihn mehrmals abwiegeln sagen, statt abwickeln, was er nicht merkt, nur irgendwie spürt, denn von da an schleift er die Sätze nach wie einen abgerissenen Hosenträger, der hinterrücks am Hosenbein baumelt. Die Kränkung zieht sich in die Nase zurück, die immer mehr zum tiefsten Punkt wird, während die Augen langsam in die Stirn zurückrollen. Er möchte seine Verdienste gelobt wissen, zumindest angeführt. Eine Kaskade von Zahlen entfährt seinem Mund, mit den Zahlen kann ihm
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