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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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aufs neue entwischt zu sein, aber sie dachte ihn immer wieder, während sie sich bereits in den Armen von Ayhan sah. Sie war überzeugt davon, ihn aus ganzer Seele zu lieben, und auch davon, daß er das wußte. Und vielleicht war es gerade dieses Wissen, das ihr eine gewisse Macht über ihn einräumte, der er sich freiwillig unterwarf, vielleicht weil seine Liebe von Anfang an nicht ganz so groß gewesen war wie die ihre.
    Schon jetzt bereitete es ihr beträchtliche Lust, an das Wiedersehen auf dem Flughafen zu denken. Sie würden sich gegenüberstehen, vollkommen korrekt, ohne verräterische Geste, und ein einziger Blick würde ihm die Lider sengen. Eswar ihr Spiel. Ayhan hatte sie nur auf die Idee gebracht, als er ihr damals erklärt hatte, daß in diesem Land Paare ihre Gefühle füreinander nicht öffentlich zeigten; ein Spiel hatte erst sie daraus gemacht. Ein heftiges, brennendes, das ihr trotz aller Abgründigkeit Oberwasser ließ.

    Die eine Seite und die andere Seite zu kennen, dachte Ayhan, setzt einen entweder in Verwirrung oder in Klarheit. Vielleicht beides. Die eine Vertrautheit hebt die andere nicht auf, aber es läßt sich beweisen, daß Vertrautheit auf diese und auf jene Weise gelebt werden kann, das heißt möglich ist. Dem Hüben und dem Drüben verpflichtet zu sein setzt die Schmerzgrenze für Klischees herab und die für Vorurteile hinauf, weil man die beider Seiten kennt. Eine zu genaue Kenntnis der anderen Seite aber schließt von absoluter Identifikation aus. Es sei denn, man ergriffe eindeutig Partei, verdeckte seine halbe andere Zugehörigkeit und ergäbe sich dem daraus erfolgenden Übereifer. Ansonsten aber bleibt man in der Schwebe. Eine souveräne Erfahrung für den, der sie zu nützen weiß. Die Dinge von ihrem totalen Jenseits her zu sehen, soweit das bei Dingen überhaupt möglich ist, erschließt einem erst ihre Form, ihr In-sich-geschlossen-Sein. Eine gewisse Weitsicht schärft den Blick aufs jeweils andere. Wovor man sich hüten muß, sind falsche Analogieschlüsse.
    Ayhan zündete sich eine Zigarette an und schaute zum Monitor, auf dem die Ankunft der AUA-Maschine eingeblendet werden würde.
    Das eine und das andere, hüben und drüben, innen und außen. Der ständige Wechsel lehrt die Distanz!
    Ayhan konnte sich und Frô bei der Begrüßung sehen. Er wußte, daß er Frôs Blick bis in die Kniekehlen spüren würde.Noch war sie begierig, seine Komplizin zu sein, alle Geheimnisse zu erfahren. Aber irgendwann würden sich die zwanzig Jahre zu ihren Gunsten auswirken. Irgendwann würde sie ihn nicht nur eingeholt, sondern ihn auch an Einfluß in dem Maße übertroffen haben, in dem seine Kraft abnahm. Es war seine Schuld und sein Verdienst, sie auf seine Seite herübergezogen zu haben. Er würde von nun an seinen Standort mit ihr teilen müssen. Da hülfe auch kein Seitenwechsel mehr.
    Im Grunde ging es weit über seine Verhältnisse, aus dem Kind die Komplizin seines Lebens und Sterbens zu machen. Er hatte sich etwas zugemutet, dessen Preis er nicht kannte, aber er war bereit, ihn zu zahlen. Auch das sah er, sah es aus der Entfernung der Klugheit, die die eine und die andere Seite, hüben und drüben, innen und außen kannte. So als habe er zwei verschiedene Augen, eines für die Ferne und eines für die Nähe. Aber das Sehen half nicht, wenn man unter helfen Vorbehalt verstand. Vorbehaltlos hatte er dieses Mädchen mit sich genommen, nach dem alten Sternenglauben an die Entsprechungen. Frô entsprach ihm, und er würde ihr entsprechen, bis sie ihre volle Größe erreicht hatte. Was dann geschah, war voraussehbar, wenn nicht ein Wunder … Ayhan lächelte. Daß er jetzt schon auf ein Wunder setzte, es erwartete. Er, der die zwei Seiten der Medaille kannte, der sich selber in der Empfangshalle stehen sehen konnte, bereit, allen Jammer des Liebens auf sich zu nehmen, naiv, ja geradezu äußerst naiv, denn seine Klugheit sagte ihm, daß dieses Gefühl ihn an den Rand seiner selbst treiben würde, in die dünne Luft der Grenze, die er nur spüren würde, wenn er sich daran blutig stieß.
    Das alles schreckte ihn nicht. Tatsächlich fürchtete er nur eines, den Verlust ihrer umfassenden Heimlichkeit. In seinen Tagträumen ließ er sich gerne foltern, ohne die Namen preiszugeben,die Frô ihm schlaftrunken ins Ohr flüsterte. Und er sah sich neben ihr und seinem Bruder zum Ausgang der Flughalle gehen, in jenem bestimmten Abstand, der keine Berührung zuließ und ihn doch von der Wärme
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