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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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neues Image getrieben, kenne ich mich schon selber nicht mehr. Kein Charisma – es hat geheißen, daß man so was heutzutage nicht mehr braucht. Aber schon rufen sie alle nach der starken Persönlichkeit, um nicht sagen zu müssen nach der starken Hand. Sachlichen Argumenten ist keiner zugänglich. Ich hätte es gerne sachlich gehabt, aber schon bei dem Wort fangen sie alle an durcheinanderzureden. Ich fürchte, das sachlichste, nämlich der Hauptsache am meisten gerecht werdende Wort ist noch immer das von den Einflußsphären. In diesem Sinn heißt Gerechtigkeit nur, daß die beiden großen Gruppierungen ihreEinflußsphären in Balance halten. Stör das Gleichgewicht – und das Klima vereist. Drum ist all das Gerede von der Entpolitisierung ein solcher Schwachsinn, daß ich keine Zeitung mehr aufschlagen kann, ohne daß mir übel wird.« Wahrscheinlich geht es à conto dieses Worts, daß dem Chef nun ein Rülpser entfährt. Vergebens reißt er die Hand vor den Mund, der Schlund hat Laut gegeben. Natürlich, das Bier.
    »Verzeih«, sagt er und versucht so beiläufig wie möglich darüber hinwegzugehen. »Aber was mache ich dir da mit alldem den Kopf schwer, du hast im Augenblick sicher andere Sorgen. Wie ich höre, hast du nur deine Mutter zurückgebracht. Ich gehe wohl richtig in der Annahme, daß du wieder zu deinem Mann willst. Ich kann und werde dich nicht daran hindern. Im Gegenteil, das einzige, was ich für dich als Tochter tun kann, ist, die Karriere deines Mannes zu fördern, soweit das in meiner Macht steht. Bevor ich es mir also noch anders überlege und überhaupt zurücktrete, werde ich meinem Freund, dem Außenminister, einen Wink geben. Da ich deinen Mann schon länger kenne und für tüchtig halte, wird eine Intervention meinerseits völlig unverdächtig bleiben. Und falls du dir irgendein Land besonders wünschst, dann sag es gleich, es könnte bei seiner nächsten Entsendung eine Rolle spielen.«
    Frô hebt langsam den Kopf und schaut ihrem Vater mit wortlosem Staunen in die Augen.
    »Na, was ist?«
    Frô bringt noch immer kein Wort heraus.
    »Ist schon gut. Ich habe dich ja auch zu plötzlich gefragt. Aber sobald dir was einfällt, sagst du es, und ich werde sehen, was ich tun kann.« Nervös schaut der Chef auf die Uhr. »Jessas«, entschlüpft es ihm, »ich soll schon längst wieder im Amt sein.«
    »Grüß die Mama«, sagt er, während er sich erhebt. Und dann nimmt er Frô unterm Kinn. »Eigentlich kann ich ja stolz sein auf dich. Eine wohlgelungene Tochter.«
    Dann gibt er selbst seinen im Gastraum wartenden Funkbewachern – neuerdings sind sie tatsächlich mit Handgurken ausgerüstet – einen Wink. Er küßt im Hinausgehen Frô auf die Stirn, dann sind sie alle durch den Hinterausgang verschwunden.

    »Und du wirst nicht zurücktreten?« fragt Mela.
    »Man wird mich sogar bitten, daß ich bleibe. Ich habe mich in der kurzen, aber krisengebeutelten Zeit derart beliebt gemacht, daß sie ohne mich nicht mehr auskommen.« Das Lächeln des jungen Mannes soll wie ein Zitat sein aus einem Stück voller Selbstironie, aber irgendwie läuft es nicht, und was stimmungsmäßig übrigbleibt, ist nicht souverän genug, um die grundsätzliche Jämmerlichkeit zu überspielen.
    »Aber was soll’s.« Der junge Mann hat den Kopf tatsächlich in Melas Schoß liegen. »Du hast dein Kind wieder, wenn auch nicht für lang.« Automatisch massiert Mela ihm die Haarwurzeln.
    »Frô wird immer wiederkommen. Jetzt ist ihr halt die Liebe eingeschossen, und sie hat alles vergessen, was sie mir und ihren früheren Verhältnissen verdankt.«
    »Im Gegensatz zu mir«, sagt der junge Mann und schickt seine Hand auf Erkundungstour.
    »Wart’s ab. In ein paar Jahren schaut das alles anders aus.« Erst jetzt merkt Mela, daß ihr die Ökonomie der Doppelantwort einen Streich gespielt hat. Aber das ist jetzt auch schon egal.
    »Ich werde auch immer wiederkommen«, sagt der jungeMann trotzig wie ein Schulbub. Vergebens, auch da kündigt sich ein Abschied an, auch wenn er noch nicht vollzogen wird.
    Mela sieht sich in ein Alter kommen, in dem die Zeit nur mehr spürbar wird, indem sie vergeht, aber nicht, indem sie keine hat. Plötzlich rappelt ihr Stolz sich hoch. Da ist immerhin das SPANFERKEL. Sie ist noch anhaltend gerührt von der Anhänglichkeit ihrer Kundschaft. Nur ein paar Stammgäste haben eine Zeitlang geschmollt, aber länger als drei Tage hat es keiner ausgehalten. Hat schon ganz gut getan, diese Reise. Jetzt
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