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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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versteift.
    »Ist dieser Blick nicht ein Wunder?« Frô zieht sie beide an den Rand der Terrasse und beginnt zu erklären, bis Borisch sie unterbricht.
    »Für wie blöd hältst du uns eigentlich? Nach den ganzen drei Wochen sollen wir uns immer noch nicht auskennen?« Und wie sie sich umdreht, steht Heyn vor ihr, der den beiden Damen ebenfalls die Hand küßt, aber diesmal europäisch und mit Diener.
    »Wie ich von meinem Bruder höre, sind Sie geradezu Expertin geworden, was diese Stadt betrifft, dennoch lohnt es sich, noch einen Blick aufs andere Ufer zu werfen.« Und tatsächlich, als Borisch sich umdreht, muß sie feststellen, daß alle Ufer hinter ihrem Rücken die Lichter angesteckt haben.
    Nach einer höflichen Verweilpause bietet Heyn seiner Schwiegermutter wider Willen den Arm. »Es wird kühl, dasdarf man nicht unterschätzen. Erst morgen fängt kalendermäßig der Frühling an.« Und apathisch, wie Mela sich noch immer gibt, nimmt sie den Arm sogar und läßt sich in den Salon führen, bis zu einem anderen Sofa, neben der Ahnin, auf dem nun sie und Borisch Platz nehmen, thronende Parzen am Rande des eher jugendlichen Hauptgeschehens.
    Sogleich wird vor ihnen ein Tisch aufgeschlagen, eine große Kupferplatte, die auf einem Gestell, das – auseinandergeklappt – zu kleinen Holzfüßen wird, aufliegt, und die kleine schwangere Frau des jüngeren Heyn läßt es sich nicht nehmen, ihnen vorzulegen. Zigarrenförmige Blätterteigpasteten, in Olivenöl eingelegte Gemüse, auf Zahnstocher gespießte Fleischbällchen, Salate und Süßes aus Honig, Rosinen und Nüssen. Dazu äußert sie in jenem stadtüblichen zwitschernden Singsang der Frauen die Aufforderung, sich dieser oder jener Speise besonders anzunehmen, indem sie einfach darauf deutet, und erst nach geraumer Zeit merkt Borisch, daß sie eigentlich versucht, deutsch zu sprechen, so sehr behält sie Tonfall und Klangfarbe der eigenen Sprache bei.
    Mela entschuldigt sich, indem sie auf ihren immer noch angegriffenen Magen verweist, und nimmt nur ein wenig vom weißen Käse, während ihre Augen glanzlos hinter Frô herstarren, immer wieder irritiert durch die beiden Heyns, die die ganze Gesellschaft wie eine Klammer zusammenhalten, einander vollkommen unähnlich und dennoch spürbar verbunden, zwei völlig verschiedene Resultate ein und desselben Sachverhalts. Fremd, fremd, fremd bleibt Mela die neue Familiensituation, alles so unwirklich, und doch drückt es ihr aufs Herz, als sie beobachtet, wie Frô heimlich und hinterm Rücken Ayhans Hand drückt, es berührt sie wie das Zeichen einer zu verbergenden lichtscheuen Perversion.
    Was sie schon bei Christoph Heyn mit einer Mischung aus Bewunderung und Widerwillen erfüllt hat, entdeckt sie beim großen Bruder wieder, und es erschreckt sie geradezu, dieses mühelose Von-einer-Sprache-in-die-andere-Gleiten, ja sogar der erkennbare Wechsel in den Gesten, und wie schnell sich das alles mischen kann in dieser zweihäusigen Gesellschaft.
    Wieder klebt ihr Blick an Frô, die in Hörweite steht und sich schon in der Landessprache versucht. Zum ersten Mal im Leben scheint Mela sich Gedanken über Frôs Mund zu machen, so als habe sie ihn auf diese Weise noch nie gesehen. Und so wie er sich mit dieser neuen Sprache verrenkt, ist es ein ziemlich gewöhnlicher Mund. Wieso ihr das bisher nie aufgefallen ist? Und in Gedanken versunken, schüttelt Mela sogar andeutungsweise den Kopf. Oder ist es doch nur die Art des Schminkens? Dieses blutstropfenfarbene provozierende Zeug? Es ist noch gar nicht lange her, da hat Frô ausschließlich rosafarbene Lippenpomade an sich geduldet, erst seit jener bewußten Zeit gebraucht sie diese Art von Plakatfarben. Und so ins Licht gestellt, wirkt Frôs Mund leider ein bißchen ordinär. Das hätte sie, Mela, gar nie für möglich gehalten; aber bitte, nichts ist überzeugender als der Augenschein. Und auch die Frisur ist um eine Spur zu auffällig, riecht einfach zu sehr nach Friseur. Aber das scheint hier so üblich. All die jungen Frauen wirken zu sehr zurechtgemacht. Mela läßt verächtlich den einen Mundwinkel hängen, angezogen wie zu einer Opernpremiere. Nicht daß Frô Schwarz nicht stehen würde, aber sie täte besser, es zu dosieren. So wie sie sich hier bewegt, könnte man meinen, sie wäre eine Art Landesfürstin. Einfach übertrieben, so erscheint Mela alles, und sie ist überzeugt, daß die bevorstehende Rückkehr nur heilsam wirken kann.
    Ihr Kind wandert in einem exotischen
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