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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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Alptraum umher,das ist es, und sie muß zumindest versuchen, es zu wecken, auch wenn es beim Aufwachen weinen sollte. Sie weiß, daß das keine dankbare Rolle ist, schließlich läßt sich nicht übersehen, was dieser merkwürdige Mann für eine Wirkung auf das Kind ausübt. Aber versuchen muß sie es, das ist ihre Pflicht als Mutter. Und während sie sich ihre Aufgaben in larmoyanten Gedanken selber bestätigt, nimmt sie im Augenwinkel einen näher kommenden Schatten wahr, und dann spürt sie etwas wie ein Vogelgewicht auf ihrer Schulter.
    In Melas Zucken hinein ist eine altershohe, aber klare Stimme zu hören, die, ganz im Gegensatz zur Enkelin, in korrektem Deutsch sagt: »Sie haben eine wunderschöne Tochter, Madame. Und man kann sehen, daß sie geliebt wird.«
    Mela wagt nicht, sich umzudrehen, sieht nur die fleischlosen, ausgewaschenen Finger auf ihrer Schulter, die sich nun tatsächlich auf und ab bewegen. »Man darf nicht traurig sein, wenn die Jungen ihr Glück haben«, und erst da verrät sich die Anderssprachige. Oder ist selbst diese Formulierung mit einer gewissen Mehrdeutigkeit versehen, die nur für ein naives Ohr als sprachliche Ungeschicklichkeit gelten mag? Oder für ein Ohr, das nicht hören will? Noch zehrt die Ahne von ihrem wachen Moment, erinnert sich an alles, was man ihr erzählt hat, und verfügt über ihre alten Fähigkeiten. Erst jetzt wagt Mela sich zu ihr hinzudrehen und schaut in ein verschmitztes, lächelndes Gesicht, und als ihre Blicke sich treffen, zwinkert die Greisin ihr zu, als wisse sie genau Bescheid, besser gesagt, als wisse sie mehr als Mela und Frô, in einer weisen Synthese, zu der die beiden nur noch nicht gelangt wären.
    Für einen Augenblick hat Mela das Bedürfnis, diese Schattenfrau ins Vertrauen zu ziehen, sich ihr klagend zu eröffnen, um sie dann als Schiedsrichterin um ein Urteil anzugehen.
    »Haben die Jungen denn ihr Glück?« fragt Mela leise. »Haben sie es wirklich?« Aber die Greisin ist in ihre frühere Teilnahmslosigkeit zurückgefallen. Ihr Blick ist schon wieder nach innen gekehrt, und wie ein autistisches Kind wackelt sie rhythmisch mit dem Kopf, während sie ihre beiden Hände wieder reglos vor sich im Schoß liegen hat.
    Der jüngere Heyn setzt sich eine Weile zu ihnen. »Morgen um diese Zeit«, sagt er, »sind Sie schon zu Hause.« Borisch seufzt. Ihre dreiwöchige Euphorie fällt langsam zu einer reumütigen Wiedersehenssehnsucht zusammen.
    »Mein Mann«, erklärt sie dem jüngeren Heyn, »ist sicher abgemagert in dieser Zeit. Und wer weiß, was er angestellt hat.« Mela macht dazu nur bagatellisierend »pah«, und der jüngere Heyn meint in pseudobeschwichtigendem Ton, sie müsse eben auf alles gefaßt sein, dann gebe es keine Schocks nach der Ankunft.
    Die geladenen Türken, Verwandte von der Heyn-Mutter her oder von der jungen türkischen Frau, haben einen Kreis gebildet, und ihr saftiges Lachen läßt auf Anzüglichkeiten aller Art sowie auf Mutterwitz schließen.
    Frô und Ayhan kommen ebenfalls herüber und schließen mit ihren Stühlen nun auch diesen Kreis. Die Peinlichkeit des Sie-Sagens stellt selbst Ayhans diplomatisches Geschick auf eine harte Probe. Aber Mela denkt nicht daran, im Schwiegersohn den Sohn anzuerkennen, und stur nennt sie ihn weiterhin Herr Doktor, Frôs dahin gehende Bitten glatt mißachtend. Frô besteht nicht mehr darauf, aber es ist wie eine weitere Perforierung, die das Auseinanderreißen nur wahrscheinlicher macht.
    »Und Sie fühlen sich tatsächlich gut genug, um zu reisen?« fragt Ayhan aus Höflichkeit.
    »Darauf kommt es nicht so sehr an«, meint Mela selbstmitleidig. »Aber wenn ich das SPANFERKEL noch länger geschlossen halte, sind auch die letzten Gäste weg, und ich muß von vorne anfangen.« Und als niemand das so recht zu würdigen scheint, sagt sie leicht gekränkt: »Es geht schließlich um meine Existenz.«
    Erst jetzt nicken die beiden Heyns verständnisinnig mit dem Kopf. Nur Frô meint: »Also wenn du krank bist, kannst du ohnehin nicht arbeiten.«
    Ein triumphierendes Lächeln entstellt Melas Gesicht für einen kurzen Moment. »Ich werde schon wieder gesund«, sagt sie, »wenn wir erst zu Hause sind«, und ihr Blick trifft sich mit dem von Heyn, und zwar genau über Frôs Kopf.

    Wie geleckt kommt Borisch das Land vor, desinfiziert und schallgedämpft. Und während sie so im Taxi vom Flughafen auf die Stadt zu fahren, erliegt ihr Blick allenthalben dem Vergleich. Drei Wochen einer anderen
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