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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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Kichern wieder halbwegs unter Kontrolle hat, »einfach umwerfend, was du von den Leuten sagst. Nach alldem, was die sich von euch gefallen haben lassen, müssen sie vollkommen vertrottelt sein. Und wenn sie das nicht sind, präsentieren sie euch demnächst die Rechnung. Und das seh sogar ich, daß das der ungünstigste Augenblick ist.«
    Der junge Mann wird in Melas Umarmung steif. »Was heißt von uns? Du tust ja, als hätten wir, ausgerechnet wir – das kann doch wirklich nur ein Witz sein – dem Volk etwas angetan.« Um sein Beleidigtsein etwas zu kaschieren, schlüpft der junge Mann unter dem Vorwand, seine Brille putzen zu müssen, aus ihrer Umarmung.
    »Ihr habt den ganzen Scheiß zugelassen«, sagt Mela mit einer plötzlichen Strenge, die der junge Mann noch gar nicht an ihr kennt. »Und jetzt wißt ihr euch nicht mehr zu helfen, gib es zu. Auf einmal käme euch ein verläßliches Volk, das von selber richtig entscheidet, wieder sehr zustatten. Es wird euch was pfeifen, dieses Volk. Es wird sich nicht ordentlich aufführen und von sich aus eine weise Entscheidung treffen. Es wird euch in den Hintern treten wollen, ohne die geringste Rücksicht darauf, ob das euch oder der Welt auch gerade paßt. Und wenn der Furz seines Unmuts explodiert ist, könnt ihr dazuschauen, wie ihr den Gestank aus der Luft kriegt.«
    Wieder erfaßt Mela ein Lachen und schaukelt sie auf einer Welle gegen den jungen Mann hin, der noch immer an seiner Brille putzt.
    »Das wird passieren«, sagt sie, noch immer schaukelnd. »jedenfalls wenn du mich fragst.«
    Der junge Mann schaut auf die Uhr, zum Glück sind sie zuvor schon ins Bett gekrochen, und das ist nur das Nachspiel,denn nach Melas Gelächter ist dem jungen Mann die Zärtlichkeit sozusagen eingeschlafen, und er wäre jetzt zu gar nichts imstande. Also bleibt nur ein geordneter Rückzug, auch hat er ohnehin schon wieder einen Termin. Es ist also gar nicht gelogen, wenn er sagt, daß er augenblicklich fortmüsse, wenn er nicht zu spät zu kommen riskieren wolle.
    »Servus, bis demnächst«, sagt er an der Tür, obgleich völlig ungewiß ist, wann dieses Demnächst sein soll.
    »Bis demnächst.« Mela späht noch eine Weile in den leeren Flur. Sie weiß, daß sie demnächst damit beginnen sollte, sich den jungen Mann aus dem Kopf zu schlagen, besser gesagt, aus dem Herzen zu reißen.

    Sie habe ihrer Mutter versprechen müssen, sagte Frô während des Starts der AUA-Maschine zu ihrem Schwager, dem jüngeren Heyn, so oft wie möglich wiederzukommen, denn es gehe nicht an, daß sie, nachdem sie über zwanzig Jahre unter einem Dach gelebt hätten, sich nun kaum mehr sehen sollten. Dies sei zwar eine richtige, aber doch nur die harmloseste aller möglichen Erklärungen. In Wirklichkeit sei wohl sie, Frô, ein zweites Mal aus dem Schoß ihrer Mutter gekrochen, und diese zweite Geburt habe ihre Mutter noch immer nicht verkraftet. Auch sie, Frô, spüre manchmal noch diese mitgewachsene Nabelschnur, aber zum Glück habe sie sich entschieden!
    »Entschieden, meine Liebe?« fragte sie der jüngere Heyn, ohne die türkische Zeitung, die er sich von der Stewardeß hatte geben lassen, aus der Hand zu legen.
    »Ja, entschieden. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Und das ist gut für mich«, fügte sie mit übertriebener Bestimmtheit hinzu.
    »Aber wofür denn?« Der jüngere Heyn lächelte wieder einmal viel zu altklug.
    Frô zog die Stirn in kleine Unmutsfalten, als sei es tatsächlich eine Unverschämtheit von ihm, das noch immer nicht begriffen zu haben. »Ich werde anders leben als sie.«
    Der jüngere Heyn schien eher enttäuscht von dieser Offenbarung, machte aber höflich »hm?«, ohne sich sogleich in die Zeitung zu vertiefen, wonach ihm der Sinn stand, denn die zwei Wochen in seiner Vaterstadt hatten ihn eher verwirrt und durchgerüttelt, so daß er unschwer Abschied genommen hatte.
    Frô spürte, daß sie nicht tiefgründig genug geantwortet hatte, auch wenn ihr schien, daß genau das der Kern ihrer Entscheidung wäre, und so fügte sie nachdrücklich hinzu: »Ich bin auch wer anderer.« Mehr war dazu nicht zu sagen, und als der jüngere Heyn das begriffen hatte, wandte er sich voller Interesse der neuen Teuerungswelle in seinem Mutterland zu, wobei er in Gedanken kräftig vor sich hin fluchte.
    Frô starrte auf die Wolkendecke hinab, die die Erde dem Blick entzog und ein Gefühl von Raum- und Zeitlosigkeit vermittelte. Nicht daß sie bei dem Gedanken triumphierte, ihrer Mutter
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