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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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die Frau sich leicht unter. Kaum einer der Gäste bemerkt sie, der Wein macht sie einander zugewandt. »Wie viele Jahre Stein hier wohl sitzen?« flüstert die Frau ihr ins Ohr. Stein, das ist die Strafanstalt. Sie lachen kein gutes Lachen. »Man ist ja bei keinem mehr sicher.« Die Frau schüttelt angewidert den Kopf und streckt der Küchenfee freundlich die Hand hin, gratuliert und lobt. Immerhin ist sie als einzige auf die Idee gekommen. Man sieht ihr an, daß sie was vom Kochen versteht. »Bei Ihnen würde ich gern einmal hospitieren«, sagt sie, und dann will sie natürlich ein Rezept haben. Aber das hätte wohl eine andere Frau auch gewollt. Sie habe noch immer einen eigenen Garten, sagt sie, davon könne sie auch das ewige Repräsentieren-Müssen nicht abhalten.
    Mela kann ihre Tochter nicht abschätzen. Es stimmt, daß sie nicht immer Zeit für sie hat, aber niemand kann sagen, daß sie sich um das Kind nicht gekümmert habe. Früher ist sie immer, wenn sie aus dem Geschäft in ihre Wohnung hinaufging, in Frôs Zimmer gekommen, und selbst wenn die schon schlief, hat sie sie in die Arme genommen und abgeküßt. Jetzt tut sie das nur mehr, wenn Frôs Tür offensteht, was soviel bedeutet wie, daß sie allein ist.
    Frô spricht nicht von den Veränderungen in ihrem Leben, sie gibt Zeichen. Und manchmal tut Mela sich schwer mit deren Entzifferung. Daß Frô bereits die Regel hatte, fiel Melaerst auf, als ihr eigener Tamponvorrat plötzlich aufgebraucht war, ohne daß sie wußte, wohin er verschwunden hätte sein können.
    Daraufhin angesprochen, antwortete Frô: »Aber das ist doch normal in meinem Alter.« Denselben Satz wiederholte sie einige Jahre später, als Mela von einer im Badezimmer herumliegenden Packung mit Antibaby-Pillen darauf schloß, daß Frô ihren ersten sexuellen Kontakt hatte. Mela konnte und kann die Dinge nicht einfach gut sein lassen. Ein jeder dieser »normal«-Sätze von Frô bringt sie dermaßen aus der Fassung, daß sie Worte gebraucht, die sie wirklich nicht hat sagen wollen, während Frô bloß aufmerksam zuhört und den Kopf schüttelt.
    Bei der nächsten Massage besprach Mela sich mit Borisch. Und die behauptete, das Kind sei einfach zu altklug und vielleicht gehöre ihm doch nur der Hintern ausgehaut, damit es sich nicht ganz so erwachsen vorkomme.
    Aus Borisch sprach echte Enttäuschung. »Da habe ich mich so darauf gefreut, daß das Kind einmal verliebt sein wird. Und jetzt schaut es so aus, als würden wir gar nichts davon haben.«
    Mela konnte es nicht lassen, Frô danach zu fragen, wer es denn sei. »Niemand Bestimmtes«, hatte Frô geantwortet. »Aber es ist doch besser, wenn mir nichts passieren kann, oder?«
    Daraufhin war Mela in jenen Zustand des Schmerzes geraten, dem sie auch durch Schimpfen keine Abhilfe mehr schaffen konnte, und sie einigten sich darauf, daß Frô ihre Freunde mit nach Hause bringen dürfe. Mela hoffte, daß ihr das Kind auf diese Weise nicht an völlig Unbekannte verlorengehen würde.
    Mela liebt ihr Kind, aber sie weiß nicht, wo mit ihrer Liebe einhaken.

    Schlechte Zeiten für den Chef. Die Köpfe, die er abhaut, bekommen Füße, wo er hinschaut, eine aufgehaltene Hand, wo er hintappt, ein Sumpf, der trockengelegt gehörte. Er beklagt sich über das unselige Erbe, so hat er sich das alles nicht vorgestellt. Und dazu dieses Noch, das wie eine weißgefrorene Hagelwolke mit lila Rändern am Himmel klebt. »Noch geht es uns gut«, wird er nicht müde zu mahnen, aber gerade dieses Noch enthält bereits den Absturz ins Nicht mehr. Noch, sagt er und weltweit und kompliziert. Und er haßt die Versprechungen, die er macht, um wenigstens die eigenen Reihen geschlossen zu halten.
    Damals, als später Studentenfunktionär, hatte er manchmal Melas Hände genommen und sein Gesicht hineingelegt. »Sie riechen nach Brot.« Er konnte sich nicht satt schnuppern. Jetzt kaut er nachts an seinem Kissen, wenn der Wein seine Gedanken gelöst hat.
    Er, der Chef, ist ein Nachfolger, und er trägt schwer genug daran. Kein inkarnierter Sol Invictus, ein Ernannter ohne Fortuna Augusti. Die Zeiten sind auch nicht mehr darnach. Er weiß sich als zähen, als beharrlichen Kämpfer, aber wofür? Daß es nicht schlechter wird? Soll er eingehen in die Geschichte als Mann der allerkleinsten Ziele? Als Pragmatiker, dessen Nutzen von allen in Frage gestellt wird?
    Er weiß, daß man so in die Geschichte nicht eingeht, höchstens in die Annalen. »Das Sein«, sagt er auf gut
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