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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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käme.

    Mela und Frô können einander nicht verleugnen. Ihre Ähnlichkeit wirkt fort. Stehen sie nebeneinander, tritt ihre Unterschiedlichkeit hervor, sieht man sie getrennt, ruft eine die andere mit Macht in Erinnerung.
    Nicht einmal Mela wüßte zu sagen, was Frô von ihrem Vater hat. Was sie unterscheidet, ist etwas Fremdes, möglicherweise aus einer Generation, die zu weit zurückliegt, um noch als Vergleich zu dienen.
    »Was ist los mit dem Kind?« wird Borisch nicht müde zu fragen. »Es hat kein Leben.« Mela kann das nicht hören.
    »Du hättest sie neulich sehen sollen, die kann ganz anders.«
    »Ich weiß, ich weiß.« Borisch will sie nicht kränken. »Ein stilles Kind. Von wem sie das bloß hat. Nach dir kommt sie nicht, und nach mir wohl auch nicht.«
    Mela lacht, aber es schmerzt. »Du und ich«, sagt sie zu Borisch, »wir sind nicht das Maß der Welt. Vielleicht sind wir zu laut.«
    »Ach was«, Borisch entrüstet sich. »Wir haben sie zu sehr verwöhnt. Sie will sich auf nichts einlassen. Was sie braucht, ist ein bißchen Paprika im Hintern.« Mela schüttelt den Kopf. Sie ist stolz auf Frô. Es gibt nichts auszusetzen an dem Kind. Alle möglichen Katastrophen sind ausgeblieben, ein hübsches Kind, jetzt studiert es auch noch. Was will sie mehr?
    Aber Borisch ist eben Borisch, und das heißt, daß sie das Gras wachsen hört, auch in einem Eisenbahncoupé. Was hat sie ihr nicht vor Frôs Geburt alles prophezeit: Zwillinge, ein Pärchen, mit langen schwarzen Mähnen. Noch heute lachen sie darüber. Und trotzdem tut es ihr weh, was Borisch sagt.
    Mela hat das SPANFERKEL gut im Griff. Es ist nicht immer leicht gewesen, sie hat ihre Erfahrungen machen müssen, aber im großen und ganzen hat sie immer gewußt, worauf es ankommt. Sie verändert wenig, und doch wandelt sich das SPANFERKEL, kaum merkbar, wenn auch manchmal entscheidend. Sogar ihr Koch ist seit Monaten eine Köchin. Es ist niemandem aufgefallen, sie sagt es auch keinem, und bald ist die kritische Phase vorbei. Da kann es dann nicht mehr am Geschlecht des Kochs liegen, wenn das Essen die Erwartung enttäuscht. Die Snobs aber, die von einer Küchenchefin nur Haare in der Suppe und kein Mehrsternessen erwarten, machen sich höchstens im nachhinein lächerlich.

    Zwanzig Jahre SPANFERKEL – ein Fest für geladene Gäste, das Lokal ist ja nicht groß, zwei Gasträume und ein Extrazimmer. Für das Buffet hat Mela sich was einfallen lassen. Sau ist Trumpf. Und all die kleinen Glücksschweinchen auf den Tischen, gemordete Schweinekinder, wie es auch Mela einmal durch den Kopf schießt, aber das ist der Weg alles Eßbaren.
    Nicht um Pomp ist es ihr zu tun, sondern um die Fleisch gewordene Idee, um die Nachhaltigkeit, und es wird noch lange darüber geredet werden.
    Der Witz des SPANFERKELS liegt nach wie vor in der bewußten Beschränkung. Das Konzept leuchtet ein. Nicht die Mannigfaltigkeit der Grundstoffe, die durch beliebige Behandlung zu einem einheitlichen Geschmack ermüden, sondern wenige und durchaus solide Materialien, die auf dem Weg durch die Küche erst ihre Unverwechselbarkeit erlangen. Mela weiß, was sie einkauft und wo, und ihre Küchenfee, dieses schwitzende, fröhliche, laut vor sich hin furzende Stück Weib, hat goldene Hände und einen Verstand, der dem Kopf eines Physikers Ehre machen würde. Ein Jammer, daß sie hinkt. Manchmal klagt sie auch über perverse Anträge. Dabei hat sie eine Vorliebe für kleine zarte Männer mit Menjoubärtchen, die vielleicht einmal wirklicher Hofrat werden und sich beim Essen die Serviette – wie sich’s gehört – aufs Knie legen und nicht einfach in den Hemdkragen stopfen.
    Auch der Chef ist gekommen, nach der Oper, samt Frau. Der Staatsgast war wohl schon im Bett. Und mit ihm die wenigen, denen er noch traut. Ob die Frau von Anfang an gewußt hat, auf was sie sich da einläßt? Wohl kaum. Hineingewachsen? Jedenfalls eine der wenigen, die nicht säuft und keine psychiatrische Behandlung braucht. Hin und wieder Migräne. Das ist wohl das mindeste an Protest einer eingezwängtenSeele. Daß sie keinen Ehrgeiz hat, sieht man ihr an, nicht im entferntesten eine Lady Macbeth. Nur ein bißchen schlanker hätte sie ihn gerne, den Chef. Warum manche Menschen so aus dem Leim gehen? Auch Mela denkt wehmütig zurück an die früheren fußballtrainierten Formen.
    Später wird die Frau sie bitten, ob sie auf einen Sprung mit in die Küche darf. Auf dem Weg vom Extrazimmer durch die beiden Gasträume hakt
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