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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse
Autoren: Barbara Frischmuth
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Doch hatte ihr der Standesbeamte den Namen in dieserSchreibweise nicht durchgehen lassen. So wurde aus Froh Frô. Frô ließ sich anhand eines alten Almanachs als Name nachweisen.

    Zugegeben, Mela ist eine, die hin und wieder Glück hat. Die Gelegenheit war günstig und die Erbschaft groß genug, daß sie die über dem SPANFERKEL gelegene Wohnung miterwerben konnte.
    Beim Einzug war ihr eine Ungarin zu Hilfe gekommen, die ebenfalls im Haus wohnte und da auch noch wohnt. Von ihrem Vornamen Borbala sind, wie bei vielen anderen ungarischen Namen, eine Reihe von Abkürzungen im Umlauf: Bori, Borisch, Borika und Borischka.
    »Nenn mich Borisch, mein Gold«, hatte sie zu Mela gesagt, als sie ihr den Koffer aus der Hand nahm, mit dem sie aus ihrem Untermietzimmer in die beinah leere Wohnung umzog. »Und mit dem Sie-Sagen fangen wir gar nicht erst an. Weißt du, die Ungarn sind da viel geschickter, da sagen sich die Frauen von Haus aus du.«
    Die paar Möbel, die die letzten Mieter zurückgelassen hatten – offenbar war ihnen leid um das Geld für den Transport gewesen –, und der Koffer waren im Augenblick alles, was Mela an beweglicher Habe besaß. Borisch sah sich um und nickte rhapsodisch: »Ich hatte noch weniger, als ich hier ankam, und jetzt? Alles doppelt und dreifach, ein Skandal ist das.« Sie ging und kam nach kurzem wieder mit einer Menge Brauchbarem. Sie kochten Kaffee, rückten, stellten zurecht, und so kam es bereits am ersten Tag zu einigen jener berüchtigten Provisorien, die Jahre überdauern.
    Als Mela dann erschöpft in einen der beiden vorhandenen Stühle fiel, befahl Borisch ihr, die Beine hoch zu lagern, undgriff ihr beherzt in die Waden, daß sie leise zu winseln begann. Borisch beherrschte ihr Handwerk und schonte Mela nicht. Nach den ersten eher schmerzhaften Begegnungen mit Borischs Händen gewöhnte Mela sich an den heilsamen Griff und wurde mit der Zeit geradezu süchtig danach.

    Wer schimpft, der hilft. Diesen Menschenschlag gibt es. Borisch hat zeit ihres Lebens geschimpft und geholfen. »Ich bin Ungarin, auch wenn es den alten wilden Typ nicht mehr gibt. Bei der Landnahme vor mehr als tausend Jahren waren wir noch ein herumziehendes Reitervolk, aber dann sind unsere Frauen von so vielen Slawen, Deutschen, Türken, Juden, Rumänen, Italienern, Byzantinern, Spaniern, Franzosen, Kurden, Armeniern und Arabern vergewaltigt, geliebt und geehelicht worden, und unsere Männer taten deren Frauen dasselbe an, so daß es den alten Typ längst nicht mehr gibt. Trotzdem bin ich immer noch Ungarin, und das läßt sich nicht abwaschen.« Mela weiß das nun seit mehr als zwanzig Jahren, und in all der verstrichenen Zeit hat sich nichts geändert daran.
    »Weißt du, woher das Wort Ungar kommt? Von Hunger. Wir haben immer schon das Maul aufgerissen. Und weißt du, wie wir zu allem Deutschen sagen? Német. Das kommt von stumm. Also leg dich hin und keine Widerrede.« Borischs Hände waren manchmal das einzige, was Mela weitergeholfen hat.
    Borisch schimpft nicht bloß, sie beliebt auch zu fluchen. Und sie flucht nicht nur mit dem Mund, sondern mit dem ganzen Körper, als wäre die gesamte Obszönität der ehemaligen cis- und transleithanischen Reichshälften durch die alten Nervenstränge in ihren ungarischen Gesten zusammengelaufen. Nicht daß Mela sie versteht, aber es ist klar, was siemeint. Schon aus einem Spreizen der Finger, dem theatralischen Recken eines ihrer Körperteile, dem demonstrativen Heben eines Kleidungsstücks wird die Sauerei begreifbar, die sie mit angemessen drastischen Mitteln zu entlarven und damit zu erledigen vorhat.
    Flüche lassen sich nicht übersetzen. Mela ist nach all den Jahren immer noch hingerissen von Borischs Kehlkopfakrobatik, von den geröhrten, gelispelten, geratterten und geschnarrten Lauten, von Vokalen, zu denen sie ansetzt, als müsse sie sich erbrechen, während sie andere lang im Rachen behält, geradezu arienmäßig. Gelegentlich spuckt sie die Silben auch bloß kategorisch vor sich hin, bis sie wie Brösel an ihren Mundwinkeln hängenbleiben. Und mit der Kraft, die beim Fluchen frei wird, greift sie in Melas erschöpftes Fleisch, knetet ihr den Hintern bis zur Wirbelsäule, walkt ihr die Arme und Schultern, arbeitet ihr die Knoten heraus und die Lebensgeister hinein, bis Mela sich gestärkt und wundersam entspannt um das ritualisierte gemeinsame Kaffeetrinken kümmern kann, ein Nachspiel, ohne das der Hauptakt der Massage um einen Teil seiner Wirkung
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