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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Prolog
     
    Herbst 1349
     
    Es ist die Mitte und gleichzeitig der Wendepunkt des 14. Jahrhunderts, die Zeit, in die sowohl der Aufstieg des Bürgertums als auch der langsame, unaufhaltsame Verfall des weitgehend verarmten Ritterstandes fallen. Das Deutsche Reich erstreckt sich von Friesland bis Tirol, von Brabant bis Böhmen und Mähren. Außer dem seit 1339 in Frankreich tobenden Hundertjährigen Krieg zwischen dem französischen König und seinem englischen Nachbarn und dem Litauenkrieg des Deutschen Ordens herrscht Ruhe in Europa, was sich jedoch schon bald ändern soll. Nach den Wirren eines mehr oder weniger rechtlosen Interregnums , das dem Ende des Stauferreiches gefolgt war, hat mit Karl IV. (1346-78) ein Luxemburger den anhaltenden Streit um die deutsche Krone für sich entschieden. Da die sieben machthungrigen, zum Teil geistlichen, zum Teil weltlichen Kurfürsten, die das Recht zur Königswahl haben, 1338 im Kurverein zu Rhens festgelegt haben, dass der von ihnen gewählte König keiner päpstlichen Bestätigung bedarf, fördern der so ins Abseits gedrängte Papst und der französische König kurzerhand einen deutschen Gegenkönig. Schon kurz darauf setzt sich dieser, Karl IV., gegen seinen Konkurrenten, Ludwig den Bayern, durch. In seiner langen Regierungszeit gelingt es Karl, die Position des Königs in Deutschland neu zu stärken, und er ernennt Prag zur Hauptstadt seines Reiches. Dort gründet er auch die erste deutsche Universität.
    Während sich die Dinge in Deutschland beruhigen, leidet der Stuhl Petri unter seiner zunehmenden Abhängigkeit von Frankreich, die dazu geführt hat, dass der oberste Herr der Christenheit seit Beginn des Jahrhunderts in Avignon im Exil lebt. Die wachsende Machtübernahme durch das französische Königshaus wird drei Jahrzehnte später zum Großen Schisma führen, in dem sich die Lateinische Kirche in zwei Lager spaltet, da ein Papst in Rom und einer in Avignon residiert. Zwei der weitreichendsten Auswirkungen dieser päpstlichen Schwäche sind ein steter Verfall und eine Verweltlichung der katholischen Kirche. Die Klagen mehren sich: Das kirchliche Finanzsystem belastete die Christenheit, die Kurie beansprucht Spolien (den persönlichen Nachlass der Geistlichen), Jahresgelder, Palliengelder für die Amtsvergabe, erhebt Gebühren für Privilegien und Gnadenbriefe. Und nicht nur das; auch der Hurenzins – eine Abgabe, mit der Priester und Mönche dafür sorgen, dass ihre Vorgesetzten ihre unerlaubten Beziehungen übersehen – hält Einzug. Zudem häufen sich die Beschwerden über nachlässige Amtsführung, Habgier und Sittenverderbnis der Geistlichen, sodass ohne Übertreibung gesagt werden kann, dass das moralische Ansehen des Klerus einen Tiefstand erreicht hat. Ein spätmittelalterlicher Zeitgenosse bemerkt:
     
    » Am Tage des [Jüngsten] Gerichts wird der eine [Mönch] seinen Bauch vorzeigen, der von Fischen aller Art rund geworden ist, ein anderer wird hundert Scheffel Psalmen hervorsprudeln. Ein dritter wird Myriaden Fasttage aufzählen und es sich als Verdienst anrechnen, wie oft sein Magen nach der Fastenzeit bei einem einzigen Frühstück fast geplatzt wäre; ein weiterer wird eine Unzahl Zeremonien herbeischleppen, die kaum von sieben Lastschiffen gefaßt werden können. Dieser rühmt sich, sechzig Jahre lang niemals Geld angefaßt zu haben außer mit Fingern, die durch doppelte Handschuhe geschützt waren« (in: Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit , Frankfurt a.M. 1979, S.104ff).
     
    Derweil die Geistlichen immer mehr im Morast der Lasterhaftigkeit versinken, werden die aufblühenden Städte zusehends mächtiger. Im Laufe der Zeit erwerben sie Reichsrechte, sogenannte Regale, wie das Steuer-, Münz- oder Zollregal, umfangreiche Besitzungen, erhalten eine eigene Stadtverwaltung, Stadtrechte sowie Stadtsiegel. Die meisten Bewohner der Städte sind Bürger, doch sind sie alles andere als gleichgestellt. Neben der Oberschicht, dem sogenannten Patriziat , das sich aus Groß- und Fernkaufleuten, Gewandschneidern und Ministerialen (Angehörige des Dienstadels) zusammensetzt, wetteifert die Mittelschicht (Handwerker und wohlhabende Kleinhändler) um Macht und Einfluss in der Stadt. Die Unterschicht, die etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, reicht von einfachen Leuten wie armen Handwerkern und Kleinkrämern über beruflich Unselbstständige (Gesellen und Lehrlinge) bis hin zum Gesinde und den Bettlern. Während die Handwerker sich in Zünften
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