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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels
Autoren: Silvia Stolzenburg
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untermalte Akt stets mit solcher Scham, dass sie sich jedes Mal die dünne Decke über die Ohren zog und betete, dass die Nacht bald vorüber sein möge. Nachdem das von dem kleinen Mädchen benutzte Wort seinen Ursprung in der Schmiedekunst als Bezeichnung für das Säubern eines von Schlacke verschmutzten Schwertes genommen hatte, war diese ursprüngliche Bedeutung jedoch schon bald in den Hintergrund getreten. Und sowohl Vren als auch Anabel wussten, welche Tätigkeit der Volksmund damit inzwischen bezeichnete.
    »Wenn du solche Worte in den Mund nimmst, wäscht ihn dir irgendwann jemand aus«, schalt Vren prompt mit einem Kopfschütteln. Da der Austausch jedoch bereits beendet war und sich der mehr oder weniger zufriedene Kunde mit einem derben Klaps auf die Rückseite der nicht mehr ganz jungen Dirne von dieser verabschiedete, setzte sie mit einem breiten Grinsen an Anabel gewandt hinzu: »Manchmal frage ich mich, ob es wirklich zu Gehirnaufweichung oder -austrocknung führt, wie Henricus die Novizen immer glauben machen will?« Ohne auf eine Antwort zu warten, kam sie mit knackenden Gelenken und einem Griff an den Rücken auf die Beine, stemmte den Korb mit den gereinigten Trachten in die Hüfte und runzelte nachdenklich die Stirn. Anabel, die nicht vorhatte, diese Äußerung zu kommentieren, tat es der Freundin gleich und gab dieser mit einem Nicken zu verstehen, dass sie bereit war, es erneut mit dem Getümmel des Marktes aufzunehmen.
    Nachdem sie das Fischerviertel hinter sich gelassen hatten, erklommen sie den mit Kopfsteinen gepflasterten, sich windenden Anstieg zum Marktplatz, der von dem hoch über ihm aufragenden Rathaus dominiert wurde. Wenngleich Anabel die farbenprächtigen Darstellungen der Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Weisheit, Besonnenheit und Tapferkeit an diesem Tag nur aus dem Augenwinkel wahrnahm, war die Schönheit der Wandmalereien atemberaubend. Von täuschend echt wirkendem gotischem Flechtwerk umrahmt, glichen die bildhaften Darstellungen der menschlichen Eigenschaften kleinen, auf einem halbrunden Fundament ruhenden Kirchtürmen, deren architektonische Verspieltheit die Wuchtigkeit des Baus so gekonnt kaschierte, dass der Eindruck von Leichtigkeit und Mühelosigkeit entstand. Als Sitz der Stadtverwaltung und des Bürgermeisters, der über das Stadtsiegel und die Schlüssel zu den Stadttoren verfügte, repräsentierte das Rathaus die mächtigsten und einflussreichsten Familien Ulms, aus deren Reihen sich seit Generationen die Mitglieder des Rates zusammensetzten. Ohne es zu wollen, hob Anabel den Blick zu den beiden Glockentürmen auf dem spitzen Giebeldach, die noch hohl und leer in den sich immer mehr bewölkenden Himmel glotzten. Schon bald würden sie die drei hellen Glocken empfangen, die zurzeit noch in der Glockenhütte ihres Vaters abkühlten.
    »Vren!« Die Stimme des wild fuchtelnden, von einer mehlbestäubten Schürze halb verschluckten Knaben ließ die Köpfe der beiden jungen Frauen zu der Stelle herumfahren, wo aus Holzstangen und Leinwand errichtete Bäckerstände inmitten eines Menschenknäuels gegen die Konkurrenz eines fahrenden Backofens ankämpften. Von zwei buckligen Männern gezogen, bahnte sich der bienenstockförmige Lehmofen, aus dem Ruß und Flammen gen Himmel schlugen, seinen Weg durch die dicht gedrängten Marktbesucher, um diesen Brezeln, kleine Brote und Zöpfchen anzubieten.
    »Jakob!«, erwiderte Vren die Begrüßung ihres jüngeren Bruders, einer neunjährigen Rotznase, dessen beinahe rostrotes Haar wild und ungekämmt von seinem erhitzten Kopf abstand. »Wo ist Mutter?«
    Mit angehaltenem Atem kämpfte sich Anabel hinter der Freundin bis zu dem Stand ihrer Eltern. Die volle Auslage ließ nichts Gutes ahnen.
    »Mehl kaufen«, erwiderte Jakob achselzuckend, wandte jedoch umgehend all seine Aufmerksamkeit einer knochigen Hand zu, deren schwarzgeränderte Fingernägel sich klauenartig in einen Honigkuchen schlagen wollten. »Lass es liegen, oder ich rufe die Marktaufsicht«, knurrte der Junge mit einer steilen Falte zwischen den Brauen und hieb mit einem wellholzartigen Stock nach dem Langfinger, der sich mit einem Fluch in die Menge zurückfallen ließ.
    »Warum habt ihr bis jetzt erst so wenig verkauft?«, fragte Vren mit einem besorgten Blick auf den fahrenden Bäckerkarren, der die Kauflustigen anzog wie Schweinemist die Schmeißfliegen.
    Jakob zuckte erneut die Schultern. »Die Antwort kannst du dir ja wohl denken«, brummte er missmutig, denn es war
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