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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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drehte seinen Stuhl von mir weg zum Fenster und wippte sanft auf und ab.
    Ich schloss die Tür, ging durch den Flur, die Holztreppe hinunter und hinaus auf die knochentrockene calçada . Der Abend war stechend klar, die Luft frischer, als sie in Lissabon je wieder sein würde. Am Himmel stand eine windzerzauste Mondsichel, und es roch nach gerösteten Kastanien.
     
    Am Freitag, den 27. November, erwachte Agente Carlos Pinto aus seinem Koma. Zwei Wochen später wurde ihm im hinteren Schädel eine Stahlplatte eingesetzt. An klaren Tagen behauptet er, die Bee Gees von der anderen Seite des Atlantiks zu hören. Ich habe ihm erklärt, dass das ein Tinnitus ist. Er hatte Glück, dass er einen so dicken Schädel hat, und ich stelle mir auch gern vor, dass sein kurzes, dichtes, widerspenstiges Haar den Schlag abgedämpft hat.
    Das Einzige, woran Carlos sich nicht erinnern konnte, war der Grund, warum António Borrego ihn niedergeschlagen hatte. Ich erklärte ihm, dass ich ins A Bandeira Vermelha gegangen war, nachdem Felsen mir seine Geschichte erzählt hatte, und António nach Maria Antónia Medinas gefragt hatte. Er hatte ausweichend geantwortet. Als dann fünfeinhalb Monate später Carlos nach unserem kurzen Austausch neben dem verrosteten Kotflügel seines Renault 12 alleine in der Bar auftauchte und nach derselben Frau fragte – der einzigen Person, die António zum Mord an Catarina Oliveira hatte bewegen können –, tat Borregos Verfolgungswahn den Rest. Er konnte nicht wissen, dass Carlos und ich nie über Maria Antónia Medinas gesprochen hatten und dass sie für uns nur ein Name war, über den wir ein bisschen mehr wissen wollten. Er dachte, er sei erledigt.
     
    Es hat immer noch nicht geregnet, und es ist immer noch kalt und trocken. Die Blätter rascheln noch immer über die calçada . Das A Bandeira Vermelha ist geschlossen. Ich muss einen anderen Laden finden, in dem ich meine bicas trinke, jemand anderen, der mir meinen Toast macht.
    Olivia hat Carlos nach wie vor nichts über Kleidung beigebracht, er schlottert immer noch in demselben zu großen Anzug durch die Weltgeschichte, aber er hat sich auf seine Weise revanchiert, indem er ihr nichts über Mord erzählt hat. Er macht sie glücklich auf eine Art, wie sie es mehr als ein Jahr nicht mehr gewesen ist.
    Hin und wieder zwackt Luísa Madrugada von ihrem Verlag ein Viertelstündchen für mich ab, und gelegentlich blicke ich von dem Buch auf, das zu schreiben sie mich gezwungen hat. Nichts über Mord natürlich, eine Geschichte für Kinder.
    Den unberührbaren Anwalt Dr. Oliveira habe ich neulich auch gesehen. Er saß in seinem Morgan und rauschte mit einer Blondine auf dem Beifahrersitz über die Avenida Marginal. Er wirkte nicht besonders bekümmert.
    Ich ziehe aus diesem Haus aus. Der Makler hat mir eine Eigentumswohnung zu einem günstigen Preis angeboten, wenn er dafür unser altes Haus umbauen darf. Ich dachte, es würde eine schwierige Entscheidung werden, doch als er den Vorschlag machte, stimmte ich sofort zu. Wir sahen uns beide erstaunt an.
    Und ein neues Auto habe ich auch gekauft. Das alte hat es mir nie vergeben, dass ich es an jenem Abend auf der Brücke habe stehen lassen. Der neue Wagen ist nichts Besonderes, doch der Verkäufer hat all die Extras angepriesen, als könnte man damit in den Orbit abheben und an der Discovery andocken. Er wusste alles, also habe ich ihm endlos Fragen gestellt, weil das nun mal in meinem Wesen liegt. Schließlich wollte ich noch wissen, wie man es hinkriegt, dass Scheiben im Schatten durchsichtig und in der Sonne getönt sind.
    »Wissen Sie«, sagte er, ohne einen Moment zu zögern, und hielt einen Finger hoch, »das ist wirklich interessant. Es ist das einzige portugiesische Element an diesem Auto.«
    »Ist das ein Verkaufsargument?«
    »Auf das Glas«, fuhr er fort, ohne mich zu beachten, »wird eine sehr, sehr dünne Schicht, weniger als ein Mikrometer, der Bruchteil eines Mikrometers, feinstes portugiesisches Wolfram aufgetragen.«
    Ich dachte darüber nach.
    Die dunkle Gabe des Wolframs.

 
Danksagung
    Mein Dank gilt zunächst Michael Biberstein, der mein Deutsch korrigiert hat, und Ana Nobre de Gusmão für die Dokumentation der portugiesischen Details. Verbliebene Fehler sind ausschließlich meine Schuld.
    Im Laufe der Jahre habe ich mit vielen Menschen geredet, die Informationen, Einsichten und Bücher beigesteuert haben. Besonders danken möchte ich: Mizette Nielsen, Paul Mollet, Alexandra Monteiro,
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