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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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auf dem Bett, die Überwachungsapparate machten statt seiner Geräusche. Seine Muskeln zuckten nicht, seine geschlossenen Augenlider flatterten nicht. Seine Miene wirkte entspannt. Wo gingen die Menschen im Koma hin? Welche Landschaften durchstreiften sie? Gab es dort irgendein Licht, oder war es eine dunkle Höhle, in der es nicht das winzigste Leuchten von außen gab, sondern nur das, was sich das Gehirn als Licht vorzustellen vermochte?
    Um sieben Uhr ließ ich Olivia bei Carlos’ Eltern und ging ins Büro. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, die Kollegen schauten herein, um mich nach Carlos zu fragen, und obwohl ich wusste, dass niemand ihn hatte leiden können, antwortete ich allen. Um acht Uhr dreißig ging ich zu Narciso, der wohlgesetzte, angemessene, beinahe menschliche Worte fand. Ich erklärte ihm, dass ich das Verschwinden eines ehemaligen Polícia Judiciária- Beamtennamens Lourenço Gonçalves untersuchen wollte. Er antwortete nicht.
    Ich holte mir bei der Fahrbereitschaft einen Wagen, fuhr nach Odivelas und wartete vor Valentims Wohnblock. Er ließ mich nicht lange warten, was mich überraschte – vielleicht noch jemand, der zurzeit nicht besonders gut schlief. Er band seine Lockenmähne zu einem Zopf, und ich ließ das Fenster herunter, sagte ihm, er solle einsteigen, und fädelte mich in den dichten Verkehr Richtung Süden ein.
    »Hast du je einen Mann namens Lourenço Gonçalves getroffen?«, fragte ich.
    Er wiederholte den Namen, runzelte die Stirn und bereitete seine Lüge vor. Ich hielt mitten im Verkehr an. Vor uns tat sich eine Lücke auf, hinter uns wurde es laut. Ich gab ihm das Foto von Gonçalves.
    »Er war Sicherheitsberater«, sagte ich, »was eine parfümierte Bezeichnung für Privatdetektiv ist. Er hat Leute beschattet und dergleichen.«
    »Warum sollte ich ihn kennen?«
    »Hat er dich nicht beauftragt, eine interessante Sex-Show in der Pensão Nuno abzuziehen? Etwas Ungewöhnliches, wie Bruno, du und eine minderjährige Blondine …«, sagte ich. »Weißt du noch, was danach mit ihr passiert ist, nachdem du dafür gesorgt hast, dass sie in der Pensão Nuno Verkehr mit zwei Typen gleichzeitig hatte?«
    »Sie … sie …«, sagte er und verstummte, als der Fahrer des Wagens hinter mir gegen mein Fenster hämmerte. »Sie ist zurück zur Schule gegangen.«
    Ohne den Blick von Valentim zu wenden, gab ich Vollgas und löste seinen Sicherheitsgurt. Er stützte sich mit den Händen ab, und ich trat voll auf die Bremse. Seine Unterarme wurden gegen das Armaturenbrett gedrückt, sein Kopf schlug gegen die Windschutzscheibe. Als er sich in seinen Sitz zurückfallen ließ, blutete er an der Stirn. Er tastete mit den Fingern über die Wunde. Ich nahm das Foto und zog seine Hände aus seinem Gesicht.
    »Sag es mir, Valentim, und du kannst aussteigen.«
    »Er hat mir Geld geboten.«
    »Von wie viel Geld reden wir?«
    »Zunächst eine Million Escudos.«
    »Der Computer samt Ausrüstung für die digitale Bildbearbeitung.«
    Er sah beinahe beschämt aus, doch dafür hätte er von Reserven zehren müssen, über die er nicht verfügte.
    »Dann hat er mir erklärt, dass ich wahrscheinlich ziemlichen Druck von Ihren Leuten kriegen würde und … und ich habe den Preis verdoppelt.«
    »Saubere Arbeit, Valentim«, sagte ich. »Und hast du ein reines Gewissen?«
    »Ich dachte …«
    »Du dachtest, es wäre ein Geschenk ohne Zinsen?«, fragte ich. »Du solltest dir mal ansehen, wie teuer heutzutage das Geld ist.«
    Ich hielt am Straßenrand und beförderte ihn mit einem Tritt in seinen knochigen Hintern nach draußen.
    Ich wendete, fuhr auf die Stadtumgehung und nahm die Autobahn nach Cascais. Mein Ziel war das letzte Haus auf dem europäischen Festland am Cabo da Roca. Hier draußen ging ein stärkerer Wind, und das Haus wirkte in der eiskalten Luft wie sandgestrahlt.
    Felsen saß in seinem Wintergarten, den Kopf auf der Brust wie ein toter Vogel. Als ich mich neben ihn setzte, kam er zu sich.
    »Ah«, sagte er, ohne mein Gesicht unterbringen zu können.
    »Inspektor Coelho«, erinnerte ich ihn und ließ ihm ein paar Sekunden Zeit, die Information zu verdauen. »Wer ist Ihr Anwalt, Senhor Felsen?«
    »Werde ich eines Verbrechens beschuldigt?«, fragte er, einen Moment lang verwirrt. »Ich wüsste nicht, dass ich noch einen habe.«
    »Hatten Sie im Gefängnis einen Anwalt?«
    »Da brauchte ich keinen. Der Schaden war angerichtet. Wenn man erst mal sitzt, ist es verdammt schwer, wieder
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