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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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rauszukommen.«
    »Und nach Ihrer Entlassung?«
    »Ein paar Jahre lange hatte ich keinen Anwalt. Dann ist einer zu mir gekommen. Oder bin ich zu ihm gegangen? Sein Name war …« Er reckte einen zitternden Finger, wie um den Namen zu ertasten, doch er fand ihn nicht.
    »Dr. Aquilino Oliveira?«
    »Ja, so hieß er. Er war etwa zehn Jahre lang mein Anwalt. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er es immer noch.«
    »Haben Sie ihm Ihre Geschichten erzählt?«
    »Er war ein sehr guter Zuhörer … ungewöhnlich für einen Anwalt. Die erklären einem doch sonst lieber, wie alles zu sehen ist, oder? Mit dem Gesetz, und dass alles verdammt kompliziert ist und wie sehr man sie braucht.«
    »Sie haben gar nicht erwähnt, dass Sie im Gefängnis einen politischen Gefangenen namens António Borrego gekannt haben.«
    »Ein paar Jahre lang hat ein Politischer meine Zelle sauber gemacht. Er hat mich nach dieser Frau gefragt … deren Namen wusste ich auch einmal.«
    »Maria Antónia Medinas«, sagte ich. »Bei unserer letzten Unterhaltung haben Sie immer wieder davon angefangen. Können Sie mir sagen, was António Borrego von Ihnen über sie wissen wollte?«
    »Er hat mich gefragt, ob ich sie gesehen oder irgendwas von ihr gehört hätte.«
    »Und?«
    »Nun, ich wusste, dass sie tot war.«
    »Woher?«
    »Sie war ermordet worden … wenn man das im Gefängnis so nennt.«
    »Und haben Sie gesehen, wer es getan hat?«
    »Ich habe ihn gesehen. Ich habe seinen Namen gerufen. Manuel. Er war mein Sohn, wissen Sie, mein illegitimer Sohn. Aber er hat mich nicht gehört, und am nächsten Morgen hat man sie rausgetragen«, sagte er, und ich dachte, er wollte in Tränen ausbrechen, bis ich erkannte, dass es sich vielmehr um einen Ausdruck des Abscheus handelte. »Ihr ganzer Rock war voll Blut, er war so schwer, dass er über den Boden schleifte und eine braune Spur hinterlassen hat.«
    Er döste wieder ein. Ich blieb eine Weile sitzen und betrachtete die strahlende Helligkeit und Klarheit der Wintersonne. Die Sicht war unglaublich, aber gnadenlos scharf, die Welt voller harter Kanten.
    Ich fragte Frau Junge nach dem Anwalt. Sie meinte, er hätte sich Anfang der Achtzigerjahre für Senhor Felsen um ein paar Dinge gekümmert, aber nicht sehr lange.
    »Er sagt, es wären zehn Jahre gewesen.«
    »Er ist ein alter Mann, aber immer noch eitel«, erwiderte sie.
    Ich hatte die Verbindung hergestellt, jetzt brannte ich auf einen Kampf. Das Haus des Anwalts in Cascais war leer und winterfest abgeschlossen. Ich rief in seinem Haus in Lissabon an, aber auch dort meldete sich niemand. Es war später Nachmittag, als ich wieder im Krankenhaus eintraf. Olivia und Carlos’ Eltern saßen noch fast genauso da, wie ich sie verlassen hatte. Es gab keine Neuigkeiten, nur zwei Männer hatten nach mir gefragt.
    Sie fanden mich auf dem Flur vor den Toiletten, zwei Männer in dunkelblauen Regenmänteln. Auf den ersten Blick hätte man sie für Klone halten können – was mit ihrer Ausbildung zu tun hatte.
    »Können wir Sie einen Moment sprechen?«, fragte der eine. »Draußen wäre besser.«
    »Wer sind Sie?«
    »Wir sind vom Ministerium.«
    »Von welchem noch gleich?«
    »Lassen Sie uns nach draußen gehen.«
    Wir setzten uns, die Hände in den Taschen unserer Mäntel vergraben, auf eine eiskalte Bank auf dem dunklen, von erleuchteten Flügeln des Krankenhauses umgebenen Hof. Nur einer von den beiden sprach. Der andere sah sich mit dem besorgten Blick eines Huhnes um, das wusste, was mit den anderen Hühnern geschehen war.
    »Wir sind gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie Ihre Ermittlung im Fall des vermissten Lourenço Gonçalves einstellen sollen.«
    »Er ist ein ehemaliger Beamter der Polícia Judiciária. Es ist meine Pflicht …«
    »Es ist Ihre Pflicht, Inspektor Coelho«, sagte er leise, so weit mit mir einig. »Es ist jetzt Ihre patriotische Pflicht, sich still zu verhalten. Ein Ergebnis wurde erreicht, und es ist das richtige, und Sie müssen es dabei belassen.«
    »Das Ergebnis muss ich verpasst haben«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass irgendwer was gewonnen hat. Habe ich damit verloren? Ich komme mir vor, als hätte ich verloren.«
    Sie stützten sich auf ihre Ellenbogen und sahen sich an mir vorbei an. Der Schweiger schloss kurz die Augen.
    »Wir haben einen Sündenbock«, sagte der Redner.
    »Die Banco de Oceano e Rocha?«
    Er nickte, als wollte er sehen, ob das reichte.
    »Da drinnen liegt ein Polizeibeamter, der vielleicht nie wieder aufwacht«,
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