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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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in einer Blutlache, von der ich mir nicht vorstellen konnte, wie sie in der kurzen Zeit, in der ich weggewesen war, so groß geworden sein konnte. Sein Hemdkragen zeichnete sich rot unter seiner Jacke und seinem Mantel ab. António stand zwischen Carlos’ Füßen, den Hammer über den Kopf erhoben. Es war der Hammer, den er hinter dem Tresen neben seiner Sichel aufbewahrte. Seine Relikte, seine Arbeiterwerkzeuge. Seine Waffen.
    Ich trat auf die Schwelle, und er drehte sich zu mir um.
    »Was hast du getan, António? Was zum Teufel hast du getan?«
    Seine Augen waren erloschen, oder vielleicht nicht ganz. Am Ende eines kilometerlangen Tunnels schimmerte ein winziges stecknadelkopfgroßes Licht, und mir war, als würde ich direkt in seinen Schädel blicken.
    »Lass mich einen Krankenwagen rufen«, sagte ich.
    Er drehte sich um, den Hammer nach wie vor erhoben, und machte einen Schritt auf mich zu.
    »Was hat er zu dir gesagt, António? Was hat er gesagt, dass du ihn geschlagen hast?«
    »Maria Antónia Medinas«, sagte er, jedes Wort einzeln betonend.
    »Ist sie der Grund für alles? Hast du deswegen das Mädchen getötet?«
    »Er hat sie ermordet. Dieses PIDE-Schwein … hat sie ermordet.«
    »Und was hat dir Maria Antónia Medinas bedeutet?«
    »Sie war meine Frau «, sagte er grimmig. »Und er hat sie getötet, sie und unser Kind in ihr.«
    »Lass mich einen Krankenwagen rufen, António. Es kann immer noch alles gut werden, wenn du mich einen Krankenwagen rufen lässt.«
    Ich bewegte mich, und er fasste den Hammer fester.
    »Bist du ein Mädchenmörder, António? Ist es das, was du bist? Wie haben sie dich dazu gebracht, das Mädchen zu töten?«
    »Sie war seine Tochter.«
    »Hat sie Maria Antónia Medinas ermordet?«
    »Sie war seine Tochter.«
    »Sie war ein unschuldiges Mädchen.«
    »Sie war seine Tochter.«
    »Lass mich einfach einen Krankenwagen rufen.«
    Er stürzte mit erhobenem Hammer und gebleckten Zähnen auf mich zu, das Licht in seinen Augen nun völlig erloschen. Ich knallte die Tür zu, und sein Hammer krachte durch das Glas. Blut lief über sein Handgelenk, als er die Tür aufriss. Ich rannte taumelnd und strauchelnd die Straße hinunter, doch António wandte sich von mir ab und lief zu seinem Wagen.
    Er startete den rostenden Renault und fuhr mit offener Kofferraumklappe los. So bretterte er quer durch den Park, durch die Beete, über den Rasen und direkt auf die Avenida Marginal. Bremsen kreischten, als der Renault schlingernd die beiden aus Lissabon kommenden Spuren kreuzte. Die PSP-Männer trafen ein, und ich sagte ihnen, sie sollten einen Krankenwagen alarmieren und in einem Krankenhaus die Einlieferung eines Polizisten mit schweren Schädelverletzungen ankündigen. Ich rannte durch Park und Unterführung zu meinem Wagen und nahm die Verfolgung auf. Auf dem Weg stadteinwärts überfuhr ich jede rote Ampel.
    Die Kofferraumklappe des Renaults schlug auf und zu, als der Wagen über die Schlaglöcher bei Caxias rumpelte. Ich fuhr dicht auf und blendete mehrmals auf, was ihn nur dazu bewegte zu beschleunigen.
    Unsere beiden alten Klapperkisten donnerten durch Belém und unter der Fahrzeugkarawane auf der Brücke des 25. April hindurch hinauf zum Largo de Alcântara. Dort gab es eine Auffahrt zur Brücke, die allerdings nur aus der Gegenrichtung erreichbar war. António überfuhr die gerade auf Rot gesprungene Ampel und scherte vor zwei Pkws und einem anfahrenden Laster quer über die Gegenfahrbahn. Die beiden Pkws konnten bremsen und ausweichen, doch der Laster erwischte den Renault am Heck, sodass er einen ganzen Meter zur Seite geschleudert wurde. Ich preschte, eine Hand auf der Hupe, die andere erhoben aus dem Fenster gestreckt, nach ihm über die Kreuzung. Inzwischen waren Menschen aus ihren Fahrzeugen gestiegen. Wir kamen auf die Rampe der Brücke, und António schaltete mit aufjaulendem Getriebe herunter. Ich hängte mich an ihn. Wir wurden immer langsamer.
    Endlich hatte der Renault die Spuren zur Überfahrt über die Brücke erreicht. Wir fuhren nur noch höchstens fünfzig Stundenkilometer, und nun erkannte ich auch, warum. Antónios Hinterreifen war platt, und er fuhr auf der Funken sprühenden Felge. Schließlich hielt er an, stieg, den Hammer in der Hand, aus und rannte weiter.
    Auch ich ließ meinen Wagen stehen und folgte ihm zu Fuß. Autos donnerten über die dehnbaren Metallplatten in der Mitte der Brücke, hinter uns heulten Hupen. Auf der Brücke wehte der eisige Westwind noch
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