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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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seinem neuen schwarzen Anzug. Das teure Material und die feine jüdische Maßarbeit erinnerten ihn daran, warum er das Leben nicht mehr so genoss wie früher. Er war zweiunddreißig, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der mehr Geld verdiente, als er sich je hätte träumen lassen. Doch jetzt war etwas aufgetaucht, das dafür sorgen würde, dass er fortan kein Geld mehr verdiente. Die SS.
    Das waren Leute, die man nicht einfach abschütteln konnte. Sie waren der Grund für seinen wirtschaftlichen Erfolg, der Grund, warum seine Fabrik – das Neuköllner Kupplungsunternehmen, Produzent von Eisenbahnwaggon-Kupplungen – voll ausgelastet war, weshalb er schon einen Architekten mit Erweiterungsplänen beauftragt hatte. Er war förderndes Mitglied der SS, was bedeutete, dass er das Vergnügen hatte, Männer in dunklen Uniformen in die Stadt einzuladen, wofür diese im Gegenzug sicherstellten, dass er Arbeit hatte. Das Ganze war natürlich in keiner Weise mit einer Mitgliedschaft in der Vereinigung der »Freunde-der-Reichsführer-SS« zu vergleichen, brachte aber geschäftliche Vorteile und, wie er jetzt erkannte, auch Pflichten mit sich.
    Seit zwei Tagen wohnte er in der Lichterfelder Kaserne mit ihrem obligatorischen Gestank nach Kohl und Bohnerwachs, eingepfercht in dieser soldatischen Welt von Oberführern, Brigadeführern und Gruppenführern. Wer waren all diese Leute mit ihren Totenkopfuniformen und endlosen Fragen? Was taten sie den ganzen Tag, wenn sie nicht gerade seine Großeltern und Urgroßeltern unter die Lupe nahmen? Deutschland führte einen Krieg gegen die ganze Welt, und sie interessierten sich nur für seinen Stammbaum.
    Er war nicht der einzige Kandidat. Auch andere Geschäftsmänner waren zugegen, einen hatte er erkannt. Sie waren alle in der Metallverarbeitung tätig. Er hatte gehofft, dass sie für einen großen Auftrag begutachtet wurden, doch die Fragen waren nie fachlicher Art gewesen, sondern hatten ausschließlich der Einschätzung seines Charakters gedient, was bedeutete, dass sie ihn für eine bestimmte Aufgabe vorgesehen hatten.
    Ein Assistent oder Adjutant, oder wie immer diese Leute sich nannten, kam herein und schloss mit der Gründlichkeit eines Bibliothekars die Tür hinter sich. Das präzise Klicken und das zufriedene Nicken des Mannes machten ihn noch ärgerlicher.
    »Herr Felsen«, sagte der Adjutant und nahm dem dunkelhaarigen, breitschultrigen Zivilisten gegenüber Platz, der zusammengesunken auf seinem Stuhl saß.
    Klaus Felsen schüttelte seinen eingeschlafenen Fuß, hob seinen kantigen schwäbischen Schädel und warf dem Mann einen trägen Blick aus blaugrauen Augen zu.
    »Es schneit«, sagte Felsen.
    Der Adjutant, der nur schwer begreifen konnte, dass die SS so weit herabgesunken war, diesen … diesen … grobschlächtigen Bauern mit einem unerklärlichen Talent für Fremdsprachen für diese Aufgabe in Erwägung zu ziehen, ging gar nicht auf die Bemerkung ein.
    »Es läuft gut für Sie, Herr Felsen«, sagte er und begann, seine Brille zu putzen.
    »Oh, haben Sie Nachricht von meiner Fabrik?«
    »Nicht direkt. Natürlich macht man sich Sorgen …«
    »Alles läuft gut für Sie , meinen Sie: Ich verliere Geld.«
    Ein nervöser Blick des Adjutanten flatterte über Felsens Kopf hinweg wie der Unterrock einer Jungfrau.
    »Spielen Sie Karten, Herr Felsen?«, fragte er.
    »Meine Antwort ist immer noch dieselbe wie beim letzten Mal: Alles außer Bridge.«
    »Heute Abend wird hier im Kasino ein Kartenspiel mit einigen hochrangigen SS-Offizieren stattfinden.«
    »Ich darf mit Himmler pokern? Interessant.«
    »SS-Gruppenführer Lehrer, um genau zu sein.«
    Felsen zuckte die Achseln; der Name war ihm unbekannt.
    »Das ist alles? Lehrer und ich?«
    »Und die SS-Brigadeführer Hanke, Fischer und Wolff, die Sie bereits kennen gelernt haben, sowie ein weiterer Kandidat. Es ist bloß eine Gelegenheit für Sie … sie in entspannterer Atmosphäre kennen zu lernen.«
    »Poker gilt demnach noch nicht als degeneriert?«
    »SS-Gruppenführer Lehrer ist ein versierter Spieler. Ich denke, es …«
    »Ich will das nicht hören.«
    »Ich denke, es wäre ratsam für Sie, zu … ähm … zu verlieren.«
    »Ah … noch mehr Geld?«
    »Sie bekommen es zurück.«
    »Stehe ich auf der Spesenliste?«
    »Nicht direkt … aber Sie werden es auf eine andere Weise zurückbekommen.«
    »Poker«, sagte Felsen und fragte sich, wie entspannt das Spiel werden würde.
    »Ein sehr internationales Spiel«, sagte der
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