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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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sich gelassen.
    Schräg fallender Schneeregen leuchtete im Scheinwerferlicht eines weiteren Wagens auf, der durch die Nürnberger Straße kam. Felsen tastete nach den beiden Bündeln Reichsmark in seinen Innentaschen und ging hinunter.
     
    Die SS-Brigadeführer Hanke, Fischer und Wolff sowie Hans Koch, einer der anderen Kandidaten, saßen im Kasino und nippten an ihren Getränken, die ein Kellner auf einem Silbertablett brachte. Felsen bestellte einen Cognac und setzte sich zu ihnen. Man lobte allseits die verbesserte Qualität des Cognacs nach der Besetzung Frankreichs.
    »Nicht zu vergessen die holländischen Zigarren«, sagte Felsen und verteilte eine Runde an seine Mitspieler. »Sie wissen bestimmt, dass sie die besten immer für sich behalten haben.«
    »Eine sehr jüdische Eigenart«, sagte Brigadeführer Hanke, »finden Sie nicht?«
    Koch, dessen Gesicht immer noch so rosig war wie das eines vierzehnjährigen Jungen, ließ sich von Hanke Feuer geben und nickte eifrig in seiner Rauchwolke.
    »Ich wusste nicht, dass die Juden etwas mit der holländischen Tabakindustrie zu tun haben«, sagte Felsen.
    »Die Juden sind überall«, sagte Koch.
    »Rauchen Sie Ihre eigenen Zigarren nicht?«, fragte Brigadeführer Fischer.
    »Nach dem Essen«, sagte Felsen. »Vorher nur Zigaretten. Türkische. Möchten Sie eine probieren?«
    »Ich rauche keine Zigaretten.«
    Koch betrachtete einfältig seine Zigarre und sah dann Felsens Zigarettenetui auf dem Tisch liegen.
    »Darf ich?«, sagte er, nahm und öffnete es. Der Name des Ladens war innen eingeprägt. »Samuel Stern, sehen Sie, die Juden sind wirklich überall.«
    »Die Juden leben seit Jahrhunderten unter uns«, sagte Felsen.
    »Genau wie Samuel Stern bis zur Kristallnacht«, erwiderte Koch, lehnte sich zufrieden zurück und nickte im Einklang mit Hanke. »Jede Stunde, die sie im Reich verweilen, schwächt uns.«
    »Schwächt uns?«, fragte Felsen, der fand, dass das wie ein wörtliches Zitat aus Julius Streichers Käseblatt Der Stürmer klang. » Mich schwächen sie nicht.«
    »Was wollen Sie damit andeuten, Herr Felsen?«, fragte Koch, und seine Wangen wurden noch röter.
    »Ich will gar nichts andeuten, Herr Koch. Ich habe lediglich festgestellt, dass ich durch Juden keinerlei Schwächung meiner geschäftlichen oder gesellschaftlichen Position erlitten habe.«
    »Es ist durchaus möglich, dass Sie …«
    »Und was das Reich als Ganzes betrifft, haben wir in jüngster Zeit fast ganz Europa überrannt, was kaum …«
    »Sie haben es möglicherweise nicht bemerkt«, brüllte Koch ihn nieder, seinen Satz beendend.
    Die Doppeltür des Kasinos flog auf, und ein großer, schwerer Mann machte drei Schritte in den Raum. Koch schoss von seinem Stuhl hoch. Sämtliche Brigadeführer sprangen auf. Gruppenführer Lehrer hob in Hüfthöhe das Handgelenk.
    »Heil Hitler«, sagte er. »Bringen Sie mir einen Cognac. Alt.«
    Die Brigadeführer und Koch antworteten mit einem ordentlichen Hitler-Gruß. Felsen erhob sich langsam von seinem Stuhl. Der Kasinokellner flüsterte dem dunklen gesenkten Haupt des Gruppenführers etwas zu.
    »Dann bringen Sie mir den Cognac eben in den Speisesaal«, brüllte er.
    Sie gingen direkt zum Essen, und Lehrer war wütend, weil er sich darauf gefreut hatte, vor dem Feuer zu stehen und sich den verfrorenen Hintern mit ein, zwei Cognacs zu wärmen.
    Beim Essen saß Lehrer zwischen Koch und Felsen. Über einer widerlichen grünen Suppe fragte Hanke Felsen nach seinem Vater. Die Frage, auf die Felsen gewartet hatte.
    »Er wurde 1924 von einem Schwein getötet«, sagte Felsen.
    Lehrer schlürfte laut seine Suppe.
    Manchmal benutzte er ein Schwein, manchmal einen Widder, nie jedoch erzählte er die Wahrheit, dass er als fünfzehnjähriger Junge seinen Vater an einem Balken in der Scheune hängend gefunden hatte.
    »Ein Schwein?«, fragte Hanke. »Ein Wildschwein?«
    »Nein, nein, ein Hausschwein. Er ist im Stall ausgerutscht und wurde von einer Sau zu Tode getrampelt.«
    »Und Sie haben den Hof übernommen?«
    »Das wissen Sie möglicherweise bereits, Herr Brigadeführer. Ich habe den Hof acht Jahre lang bewirtschaftet, bis meine Mutter gestorben ist. Dann habe ich ihn verkauft, mich dem Wirtschaftswunder des Führers verschrieben und nie zurückgeblickt. Das tue ich ohnehin ungern.«
    Danach lehnte Hanke sich zurück, Schulter an Schulter mit seinem Günstling, der rosig lächelte. Lehrer schlürfte weiter. Er wusste das alles sowieso. Bis auf das Schwein. Das
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