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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns
Autoren: Uwe Klausner
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VESPER
    Worin sich im SPITAL zu OCHSENFURT AM MAIN etwas zuträgt, worüber der Mantel des Schweigens ausgebreitet wird.

     
    »Neiiin!«
    Der Schrei der Wöchnerin, die sich mit schmerzverzerrter Miene ins Bettgestell krallte, war überall im Spital zu hören. Und nicht nur dort. In der Herz-Jesu-Kirche, wo gerade die Messe zelebriert wurde, fiel dem Leutpriester beinahe der Kelch aus der Hand, was den Häckern, Kärrnern und Wäscherinnen wie ein böses Omen vorkam. Aber auch im Siechenhaus selbst, das von der Spitalgasse durch eine hohe Mauer abgetrennt war, fuhr den Krüppeln, Gebrechlichen und von Aussatz Befallenen der Schreck in die debilen Glieder.
    Das 15-jährige Mädchen bekam von alldem nichts mit. Weder von der skeptischen Miene des Spitalmeisters noch vom Kopfschütteln der Hebamme und schon gar nicht von der Fahne des Feldschers, den man aus der nahen Schenke geholt hatte. In einem Punkt nämlich waren sich alle einig: Entweder würde die Mutter draufgehen oder das Kind.
    »Um der Liebe Christi willen – schnallt sie fest!«, schrie die Hebamme, als das Schreien, Toben und Wehklagen nicht mehr auszuhalten war. Das ließen sich der Spitalmeister und der Feldscher, denen das dunkelhaarige Mädchen ordentlich zusetzte, nicht zweimal sagen. Ein Vaterunser der Hebamme, und schon war es vollbracht.
    Doch damit war das Martyrium des Mädchens noch nicht vorbei. Selbst noch ein Kind, starrte es die Umstehenden Hilfe suchend an, während eine Wehe nach der anderen seinen Leib durchzuckte. Überall am Körper der 15-Jährigen klebte der Schweiß, wie lange sie noch würde durchhalten können, stand in den Sternen.
    »So tut doch endlich was!«, bettelte die Mutter des Mädchens, die sich in den äußersten Winkel der schummerigen Kammer zurückgezogen hatte. »Sonst stirbt sie uns unter den Händen weg!«
    »Und was, wenn die Frage gestattet ist?«, bellte die korpulente Hebamme zurück. »Wenn Ihr als Mutter nicht einmal genau wisst, wann genau ihr Leib fruchtbar geworden ist? Von der Frage, wer der Kindsvater ist, gar nicht zu reden?«
    Das wiederum wollte die Mittvierzigerin, die ihr in puncto Korpulenz in nichts nachstand, nicht auf sich sitzen lassen. »Bekümmert Euch gefälligst nicht um Dinge, die Euch nichts …«
    »Neiiin!«, machte die Wöchnerin, wachsbleich wie ein Leichentuch, dem unerquicklichen Zwist ein Ende. An dem Schrei, den das Mädchen ausstieß, war nichts Menschliches mehr, das Wimmern, das auf ihn folgte, hörte sich wie das eines Tieres an.
    Eines Tieres, das in den letzten Zügen lag.
    Und dann war es so weit. Ohne dass die Beteiligten etwas dagegen tun konnten, brandete eine Wehe nach der anderen über die 15-Jährige hinweg. So heftig, dass sie nicht einmal mehr schrie. In seiner Not öffnete der Spitalmeister das Fenster zum Hof. An der Höllenpein des Mädchens änderte dies jedoch nichts. In längstens drei Rosenkränzen, so der Eindruck des Feldschers, wäre es um die junge Frau geschehen.
    So weit sollte es jedoch nicht kommen. Ob die heilige Katharina, welche die Hebamme in ihrer Not anrief, oder vielmehr die Zähigkeit des Mädchens für das Mirakel seines Überlebens verantwortlich waren, konnte keiner der Anwesenden sagen.
    Und wollte es auch nicht.
    Dazu war ihnen die Tatsache, dass die 15-Jährige von einem toten Knaben entbunden war, viel zu ernst, ja geradezu niederschmetternd erschienen.
    Fast so niederschmetternd wie die Erleichterung, mit der das Mädchen die Nachricht von der Totgeburt entgegennahm, ein triumphierendes Lächeln aufsetzte – und von ebenjenem Moment an kein einziges Wort mehr sprach.
    Fast so, als sei es sein Lebtag stumm gewesen.

     

TERTIA
    Worin der Abt zu MAULBRONN seinem Bibliothekarius einen wohlmeinenden Rat und einen neuen Auftrag erteilt.

     
    An Hilpert, Bibliothekarius und Inquisitor vom Orden der Zisterzienser

     
    Unseren väterlichen und im Namen des heiligen Bernhard entbotenen Gruß und Segen zuvor.
    Wie mir, dem über Dich gesetzten Vater Abt, unlängst vonseiten meines Amtsbruders zu Bronnbach und des Bischofs von Würzburg berichtet ward, hast Du, Hilpert, Dich um das Heil der Mutter Kirche in hervorragender Weise verdient gemacht. Zum einen, indem Du die Brüder zu Bronnbach wieder auf den rechten Weg geführt, zum anderen, indem Du Dir mithilfe der Mächte des Himmels gewisse Verdienste um des heiligen Kilian Stuhl zu Würzburg erworben hast. Worin diese bestanden, hat mir Johann, Bischof ebendaselbst, freilich
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