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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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war interessant gewesen, gelogen, aber interessant.
    Die Suppenschalen wurden abgetragen und durch Teller mit zu lange gegartem Schweinebraten, Salzkartoffeln und einem Klecks Rotkohl ersetzt. Lehrer aß es nur, damit er etwas zu tun hatte, während Koch ihm die Parteilinie rezitierte. Er schaufelte das Essen schneller und schneller in sich hinein. Als das Gespräch kurz verstummte, wandte er sich Felsen zu.
    »Sie sind nicht verheiratet, Herr Felsen?«
    »Nein, Herr Gruppenführer.«
    »Ich habe gehört«, sagte er, an einem Nietnagel kauend, »dass Sie bei Frauen einen gewissen Ruf haben.«
    »Tatsächlich?«
    »Woher spricht ein Mann, der nie südlich der Pyrenäen gewesen ist, Portugiesisch?«, fragte Lehrer und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger ins Ohrläppchen. »Und erzählen Sie mir nicht, dass man so was heutzutage im Schwabenland lernt.«
    Lehrer zog seine Augenbrauen in gespielter Unschuld hoch. Felsen vermutete, dass Susana Lopes sich in höheren Kreisen bewegt hatte, als er geahnt hatte.
    »Ich bin früher regelmäßig mit einer Brasilianerin an den Havelseen geritten«, log er, und Lehrers Magen knurrte.
    »Pferde?«, fragte er.
     
    Nach dem Essen zogen sie sich in ein Nebenzimmer zurück. Jeder kaufte für hundert Reichsmark Spielmarken, und sie setzten sich an einen grünen, filzbezogenen Tisch. Die Kellner rollten einen hölzernen Wagen mit Gläsern und Getränken an ihren Tisch, servierten Cognac und gingen wieder. Lehrer lockerte seine Uniformjacke, sog an der Zigarre, die Felsen ihm gegeben hatte, und blies den Qualm auf die Glut.
    Die Lampe über dem Tisch war in Rauchschwaden gehüllt und beleuchtete nur die Gesichter der Spieler. Kochs war nach dem Wein und dem Cognac noch röter geworden. Hanke setzte eine düstere, undeutbare Miene auf, Wangen und Kinn waren von einem dunklen Bartschatten gezeichnet. Fischer hatte tiefe Ringe unter den Augen und eine gespannte, spröde Haut, als hätte er die halbe Nacht draußen im Schneesturm verbracht. Wolff war blond, blauäugig und für einen Brigadeführer geradezu unerhört jung, seinem Gesicht fehlte ein Schmiss oder eine Narbe aus einem Duell, irgendetwas, das Erfahrung andeutete. Und Lehrer, der große Mann mit dem Doppelkinn, an den Seiten ergrautem Haar und dunklen, in Erwartung von Vergnügen und weiterer Verderbtheit feucht glänzenden Augen. Wenn Eva hier gewesen wäre, dachte Felsen, hätte sie ihm erzählt, dass dies ein Mann war, der gern Frauen schlug.
    Sie spielten. Felsen verlor stetig. Er bluffte auf langweilige Blätter, ohne den Bluff dann bis zum Ende durchzuhalten. Koch verlor extravagant. Beide kauften neue Spielmarken und ließen sie in die Taschen der SS-Offiziere wandern, die keinerlei Neigung zeigten, dem Prozess Einhalt zu gebieten.
    Dann fing Felsen an zu gewinnen. Es gab Bemerkungen über das gewendete Kartenglück. Hanke und Fischer waren rasch abgebrannt. Koch stieg mit einem Minus von 1600 Reichsmark aus. Felsen konzentrierte sich nun auf Wolff und gab sich Mühe, regelmäßig auf dessen Bluffs hereinzufallen. Felsen hatte noch fünfhundert Reichsmark über, als Lehrer Wolff mit einem Vierling gegen ein Full House ausnahm. Wolff sah aus, als hätte man ihn mit einem Speer an seinen Stuhl gespießt, während Lehrer hinter seinem Berg von Spielmarken riesig wirkte.
    »Wenn Sie es mit mir aufnehmen wollen, sollten Sie vielleicht Ihre Rücklagen auffrischen«, sagte Lehrer. Felsen goss sich einen Cognac ein und zog an seiner Zigarre. Lehrer strahlte. Felsen zog zweitausend Reichsmark aus der Tasche.
    »Wird das reichen?«, fragte er, und Lehrer leckte sich die Lippen.
    Sie spielten eine Stunde, in der Lehrer, der seine Jacke mittlerweile abgelegt hatte, leicht verlor. Aus dem Schatten beobachtete Wolff das Spiel wie ein Falke. Hanke und Koch berieten sich verschwörerisch auf dem Sofa, während Fischer laut schnarchend schlief.
    Um kurz nach halb zwei verlangte Lehrer auf ein Blatt keine neue Karte. Felsen überlegte volle drei Minuten und nahm dann drei neue. Er schob zweihundert Reichsmark in die Mitte des Tisches. Lehrer ging mit und erhöhte auf vierhundert. Felsen ging seinerseits mit und erhöhte. Sie hielten inne und beobachteten sich gegenseitig. Lehrer suchte nach dem haarfeinen Riss in der Fassade seines Gegners, der alles war, was er brauchte. Felsen wusste, dass seine stärkste Karte unverdeckt auf dem Tisch lag, und gestattete sich innerlich ein winziges Lächeln. Das reichte Lehrer, um mitzugehen und um
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