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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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Kollegen in Lyon haben sich eine Woche lang mit ihr unterhalten. Sie hat sich an einige Dinge aus ihrer Zeit in Berlin Anfang der Dreißigerjahre erinnert.«
    »Vor dem Krieg … als ich mit ihr bekannt war, meinen Sie.«
    »Aber nicht vor der Politik. Wie Sie wissen, hat sie mehr als ein Jahr lang für die Résistance gearbeitet.«
    »Ich bin unpolitisch, und nein, das wusste ich nicht.«
    »Wir sind alle politisch. Parteimitgliedsnummer 479-381, förderndes Mitglied der SS-Staffel …«
    »Sie wissen ebenso gut wie ich, dass es kein Leben außerhalb der Partei gibt.«
    »Sind Sie deswegen Mitglied geworden, Herr Felsen? Um Ihr Unternehmen zu vergrößern? Ihre persönlichen Aussichten zu verbessern? Auf dem Trittbrett mitzufahren, solange es gut läuft?«
    Felsen lehnte sich zurück, blickte aus dem Fenster in den trüben Berliner Himmel und begriff, dass dies jedem passieren konnte und auch täglich passierte.
    »Schicke Jacke haben Sie da an«, sagte der Mann. »Maßarbeit von Ihrem Schneider …«
    »Isaak Weinstock«, sagte Felsen. »Das ist ein jüdischer Name, für den Fall …«
    »Sie wissen, dass Juden kein Garn kaufen dürfen.«
    »Ich habe den Stoff für ihn gekauft.«
    Es hatte wieder angefangen zu schneien. Durch die graue Scheibe über dem grauen Aktenschrank konnte er gerade noch die grauen Flocken am grauen Himmel erkennen.
    »Olga Kasarow«, sagte der Mann.
    »Was ist mit ihr?«
    »Kennen Sie sie?«
    »Ich habe mit einer Olga geschlafen … einmal.«
    »Sie ist eine Bolschewikin.«
    »Sie ist Russin, soviel ich weiß«, erwiderte Felsen, »aber ich hatte keine Ahnung, dass man sich beim Bumsen mit Kommunismus infizieren kann.«
    Der Mann stand unvermittelt auf und klemmte die Akte unter den Arm.
    »Ich glaube, Sie sind sich nicht ganz über Ihre Lage im Klaren, Herr Felsen.«
    »Da haben Sie allerdings Recht. Vielleicht wären Sie so freundlich …«
    »Vielleicht wäre eine Besserungsmaßnahme angezeigt.«
    Felsen hatte plötzlich das Gefühl, auf einem außer Kontrolle geratenen Gefährt einen steilen Hang hinabzuschießen.
    »Ihre Ermittlung …«, setzte er an, doch der Mann war schon auf dem Weg zur Tür. »Herr … Herr … warten Sie.«
    Der Mann öffnete die Tür. Zwei Soldaten kamen herein, zerrten Felsen vom Stuhl hoch und führten ihn ab.
    »Wir schicken Sie zurück auf die Schule, Herr Felsen«, sagte der Mann in dem dunklen Anzug.
    Sie brachten ihn wieder in seine Zelle, wo er drei Tage lang eingesperrt blieb. Niemand sprach mit ihm. Zu essen bekam er eine Schale Suppe am Tag. Sein Eimer wurde nicht geleert. Er saß neben seinem Urin und seinen Fäkalien auf der Pritsche. Gelegentlich drangen Schreie durch die Dunkelheit, manchmal leise, manchmal erschreckend nah und laut. In dem Flur vor seiner Zellentür wurden Menschen grausam geschlagen. Mehr als einmal hörte er jemanden nach seiner Mutter rufen.
    Er verbrachte seine Stunden damit, sich vorzubereiten, drillte seinen Verstand zu übertriebener Höflichkeit, sein Gebaren zu ängstlicher Unterwürfigkeit. Am vierten Tag holten sie ihn erneut ab. Schwach vor Angst stand er auf. Doch sie brachten ihn weder in die Folterkammer noch nach oben zu einem weiteren Treffen mit dem Mann in dem dunklen Anzug. Sie legten ihm Handschellen an und führten ihn direkt in den Hof, wo Schnee in großen weichen Flocken vom Himmel fiel, der von den Stiefeln und Reifen festgestampft worden war. Man verfrachtete ihn in einen leeren Transporter mit einem großen und noch immer klebrigen Fleck auf dem Boden und schloss die Türen.
    »Wohin geht die Fahrt?«, fragte er in die Dunkelheit.
    »Nach Sachsenhausen«, sagte der Wärter draußen.
    »Was ist mit dem Gesetz?«, fragte Felsen. »Was ist mit einem gesetzmäßigen Verfahren?« Der Wärter schlug von außen auf das Wagendach. Der Fahrer legte einen Gang ein und fuhr so plötzlich an, dass Felsen gegen die verriegelten Türen geschleudert wurde.
     
    Eva Brücke saß in ihrem Büro in der Roten Katze , rauchte eine Zigarette nach der anderen und goss sich so lange Cognac in ihren Kaffee, bis es nur noch Cognac und kein Kaffee mehr war. Die Schwellung ihres Gesichts war durch die tägliche Anwendung von ein wenig frischem Schnee abgeklungen und hatte einen bläulich gelben Bluterguss zurückgelassen, der unter ihrem Make-up und dem weißen Puder verschwand.
    Die Tür zu ihrem Büro stand offen, damit sie in die leere Küche sehen konnte. Sie hörte ein leises Klopfen an der Hintertür und stand auf, um zu
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