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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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öffnen. Im selben Moment fing das Telefon an zu schrillen, lauter als ein Stapel zu Boden schepperndes Porzellan. Sie fuhr zusammen und beruhigte sich wieder. Sie wollte nicht abnehmen, doch das Geräusch war so zermürbend, dass sie den Hörer schließlich doch von der Gabel riss.
    »Eva?«, fragte die Stimme.
    »Ja«, sagte sie, als sie die Person am anderen Ende erkannte. »Hier ist Die rote Katze. «
    »Du klingst müde.«
    »Es ist ein Beruf mit langen Arbeitsstunden und wenig Gelegenheit zur Entspannung.«
    »Du solltest dir eine Weile freinehmen.«
    »Ein bisschen ›Kraft durch Freude‹ vielleicht«, sagte sie, und der Anrufer lachte.
    »Hast du noch jemanden mit Sinn für Humor?«
    »Kommt drauf an, wer die Witze erzählt.«
    »Nein, also, ich meine … jemand, der gern Spaß hat. Ungewöhnlichen Spaß.«
    »Ich kenne Leute, die immer noch laut lachen können.«
    »Wie mich«, sagte er und lachte zum Beweis laut auf.
    »Schon möglich«, sagte sie, ohne einzustimmen.
    »Könnte ich sie zu einem Abend voller Unterhaltung und Überraschungen einladen?«
    »Wie viele?«
    »Oh, ich denke, drei ist eine fröhliche Zahl. Wäre drei in Ordnung?«
    »Könntest du nicht vorbeikommen und mir eine bessere Vorstellung davon vermitteln, was …«
    »Das passt im Augenblick gar nicht gut.«
    »Ich mache mir Sorgen, weißt du, nach …«
    »Oh, nein, nein, sei unbesorgt. Das Motto des Abends ist Speisen. Was könnte einem dieser Tage und in diesen Zeiten mehr Freude bereiten als ein gutes Essen?«
    »Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
    »Danke, Eva. Man weiß deine Dienste zu schätzen.«
    Sie legte auf und ging zur Hintertür. Der kleine Mann, den sie erwartet hatte, drückte sich auf dem verschneiten Hinterhof herum. Sie bat ihn herein, und er klopfte sich säuberlich den Schnee von Hut und Schuhen. Sie gingen ins Büro, und Eva zog das Telefonkabel aus der Wand.
    »Was trinken Sie, Herr Kaufmann?«
    »Nur Tee.«
    »Ich habe ein wenig Kaffee.«
    »Nein, vielen Dank.«
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich wollte fragen, ob Sie vielleicht Platz für zwei Gäste haben.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt –«
    »Ich weiß, aber es ist ein Notfall.«
    »Hier nicht.«
    »Nein.«
    »Wie lange?«
    »Drei Tage.«
    »Vielleicht verreise ich«, sagte sie unvermittelt, angeregt durch den Anruf.
    »Die Gäste kommen auch alleine zurecht.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es … es müsste …«
    »Ich weiß«, sagte der Mann und faltete die Hände im Schoß, »aber die Umstände sind außergewöhnlich.«
    »Sind sie das nicht immer?«
    »Vielleicht haben Sie Recht.«
    Sie zündete sich eine Zigarette an und blies seufzend den Rauch aus.
    »Wann kommen sie?«
     
    Sachsenhausen war eine alte, zu einem Konzentrationslager umgewandelte Kaserne in Oranienburg, dreißig Kilometer nordwestlich von Berlin. Felsen kannte das Lager, weil er von dort einen Politischen und zwei Juden, die kurz vor den Olympischen Spielen 1936 freigelassen worden waren, zum Putzen in der Fabrik eingestellt hatte. Sie hatten nichts über die Zustände in dem KZ sagen müssen, die beiden Sehnen im Nacken zeichneten sich deutlich unter ihren rasierten Köpfen ab – sie hatten mindestens fünfzehn Kilo Untergewicht.
    Es war eine zermürbende Fahrt über schneebedeckte Straßen. Der Transporter schlingerte hin und her. In Sachsenhausen hörte er, wie die Tore geöffnet wurden, dann ein hämmerndes Pochen gegen die Wände des Wagens. Etwa einhundert Meter ging diese zermürbende Spießrutenfahrt. Dann war es plötzlich still, und man hörte nur noch das Knirschen der Reifen auf Schnee. Der Wagen blieb stehen, der Wind heulte, der Fahrer im Führerhaus hustete. Dann wurden die Türen geöffnet.
    Felsen stand auf und spürte seine klebrigen Hände, die von dem trocknenden Blut auf dem Boden rotbraun gefärbt waren. Er stolperte zur Hecktür. Draußen erstreckte sich eine riesige weiße Fläche, die nur von den Reifenspuren des Transporters durchschnitten wurde. Gut zweihundert Meter entfernt – bei dem dichten Schneetreiben war das schwer zu schätzen – standen einige Bäume und Gebäude.
    Der Transporter fuhr los und ließ ihn im knöcheltiefen Schnee stehen. Am Rand des riesigen Schneefelds erkannte er eine graue Gestalt. Felsen ging mit zusammengekniffenen Augen auf sie zu. Die Gestalt rührte sich nicht. Als er hinter sich das Geräusch von Metall hörte, das durch den Schnee schnitt, fuhr er herum. Dort standen drei Männer in schwarzen,
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