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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Autoren: Nancy Bilyeau
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Kapitel 1
    London, 25.   Mai 1537
    Immer wenn eine Verbrennung angekündigt wird, bestellen die Wirtshäuser rund um den Smithfield Square einige Fässer Bier mehr als sonst, wenn aber die Person, die brennen soll, eine Frau ist, noch dazu eine von Adel, lassen sie das Bier in Fuhren anliefern. Am Freitag vor Pfingsten, im achtundzwanzigsten Jahr der Regierung König Heinrichs VIII., war ich auf einem solchen Fuhrwerk nach Smithfield unterwegs, um die zum Tode verurteilte Verräterin Lady Margaret Bulmer mit meinen Gebeten zu begleiten.
    Ich hatte den lauten Ruf gehört, als ich, mit dem Plan von London in der Hand, den ich zwei Nächte zuvor heimlich aus einem Buch abgezeichnet hatte, durch die Cheapside Street ging. Jetzt, da ich eine breite, gepflasterte Straße erreicht hatte, lief ich schneller, aber meine Beine waren müde und schwer. Ich war den ganzen Vormittag durch Dreck und Morast gewatet.
    »Smithfield   – will hier jemand nach Smithfield?« Die Stimme klang so aufgekratzt, als sollte es zur Kirchweih am Georgitag gehen. Der Rufer, nicht weit vor mir, auf der Höhe einer Gerberei, war ein bulliger Mann, der die vier Zugpferde vor seinem großen Fuhrwerk mit knallender Peitsche antrieb. Ein halbes Dutzend Köpfe reckte sich über das Wagengeländer.
    »Halt!«, rief ich, so laut ich konnte. »Ich möchte nach Smithfield.«
    Der Kutscher drehte sich um, sein Blick suchte in der Menge. Als er mich winken sah, verzog er die wulstigen Lippen zu einem Grinsen. Beklommen trat ich näher. Ich hatte mir geschworen, den ganzen Tag mit niemandem zu sprechen, bei niemandem Hilfe zu suchen. Das Risiko, dass man mich entdeckte, war zu groß. Aber bis Smithfield,außerhalb der Stadtmauern im Nordwesten gelegen, war es noch ein weiter Weg.
    Der Kutscher musterte mich von Kopf bis Fuß, als ich zu ihm trat, und seine Mundwinkel sanken herab. Das dicke wollene Kleid, das ich trug, das einzige, das ich für die Reise dagehabt hatte, war für den tiefsten Winter gedacht, nicht für einen Frühlingstag, an dem Wellen wogenden Dunsts plötzliche Schübe von Wärme mitbrachten. Der Saum war von Schlamm durchweicht. Ich konnte froh und dankbar sein, dass der schwere Stoff mein schweißnasses Hemd verbarg.
    Aber ich wusste, dass nicht nur das arg mitgenommene Gewand den Kutscher stutzig machte. Mein Anblick ist für viele befremdlich: das Haar, das so schwarz ist wie polierter Onyx, die dunklen Augen mit den lichtgrünen Sprenkeln, die olivgetönte Haut, die sich im Sommer nicht rötet und im Winter nicht verblasst. Ich habe den Teint meiner spanischen Mutter geerbt, nicht aber ihre feinen Züge. Nein, mein Gesicht ist das meines englischen Vaters: eine breite Stirn, hohe Wangenknochen und eine lange, schmale Nase. Es ist, als prallten in meinen Zügen, offen und für jeden erkennbar, die Gegensätzlichkeiten aufeinander, die die Ehe meiner Eltern bestimmten. In einem Land zarthäutiger, rosiger Mädchen falle ich auf wie ein düsterer Rabe in einer Schar gefälliger Täubchen. Es gab eine Zeit, da machte mir das sehr zu schaffen, aber jetzt, mit sechsundzwanzig, liegen mir solche kindischen Sorgen fern.
    »Einen Schilling die Fahrt, Miss«, sagte der Kutscher. »Ihr braucht nur zu zahlen, und es geht los.«
    Die Forderung überraschte mich, obwohl sie natürlich zu erwarten gewesen war.
    »Ich   – ich habe keine Münzen bei mir«, stammelte ich.
    Der Kutscher lachte rau. »Ja, glaubt Ihr, ich mach das zum Vergnügen? Das Bier ist mir fast ausgegangen«   – er klopfte auf ein letztes hölzernes Fass, das hinter ihm lag   –, »und ich muss was verdienen, damit ich den Wagen bezahlen kann.« Hinter dem Fass reckten seine Fahrgäste die Hälse nach mir.
    »Wartet«, sagte ich und kramte in der Tasche, die ich in mein Kleid eingenäht hatte, nach dem kleinen Stoffbeutel. Mit den Fingern tastendfand ich einen schmalen Ring. Etwas Edleres wollte ich ihm nicht geben. Es galt noch wichtige Leute zu bestechen.
    Ich bot ihm den Ring. »Reicht das?« Augenblicklich hellte sich die finstere Miene auf, und der schmale goldene Reif, der meiner Mutter gehört hatte, verschwand in der schmutzigen Hand des Kutschers.
    Als ich hinten auf das Fuhrwerk kletterte, bemerkte ich Mitleid und Verachtung auf den Gesichtern der anderen Fahrgäste. Vermutlich übertraf der Wert meines Rings den Fahrpreis bei Weitem. Mit gesenkten Lidern, um nicht den neugierigen Blicken begegnen zu müssen, suchte ich mir einen sauberen Strohhaufen in der Ecke,
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