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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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Adjutant und erhob sich. »Um sieben Uhr dann. Hier. Schwarze Krawatte für Sie, denke ich.«
     
    Eva Brücke saß am Schreibtisch in dem kleinen Arbeitszimmer ihrer Wohnung im zweiten Stock eines Hauses in der Kurfürstenstraße im Zentrum Berlins. Unter ihrem schweren schwarzen Morgenmantel aus Seide mit goldenen Drachenmotiv-Stickereien trug sie nur einen Slip. Dazu hatte sie eine Wolldecke über ihre Knie gebreitet. Sie rauchte, spielte mit einer Streichholzschachtel und dachte an das neue Plakat am Anschlagbrett ihres Wohnhauses: Deutsche Frauen, euer Führer und euer Land vertrauen auf euch. Wie nervös und wenig selbstbewusst das klang: Die Nazis – oder vielleicht auch nur Goebbels – offenbarten unbewusst eine tiefe Angst vor dem unergründlichen Mysterium des schönen Geschlechts.
    Ihre Gedanken wanderten von der Propaganda zu ihrem Nachtklub Die rote Katze am Kurfürstendamm. In den vergangenen zwei Jahren hatte ihr Geschäft floriert, nur weil sie wusste, was Männern gefiel. Sie konnte ein Mädchen betrachten und die kleinen Auslöser erkennen, die die Männer scharf machen würden. Ihre Mädchen waren nicht unbedingt immer die schönsten, doch sie hatten irgendeine besondere Qualität – große unschuldige blaue Augen, einen schmalen, langen, verletzlichen Hals oder einen schüchternen Mund –, die sich auf eine perverse Art mit ihrer vollkommenen Verfügbarkeit paaren würde, ihrer Bereitschaft, alles zu tun, was diese Männer wünschten.
    Eva spannte ihre Schultern an und zog die Decke von der Stuhllehne um ihren Körper. Ihr war ein wenig schwindelig, weil sie zu schnell geraucht hatte. Das Ende ihrer Zigarette war zu einem schmalen, spitzen Kegel abgebrannt. Das geschah nur, wenn sie verärgert war, und über Männer nachzudenken verärgerte sie. Männer bereiteten ihr immer nur Probleme und nahmen ihr nie welche ab. Offenbar war ihr Beruf zu kompliziert. Ihr Geliebter, zum Beispiel. Warum konnte er nicht tun, was von ihm erwartet wurde, und sie einfach lieben? Warum musste er sie besitzen, in ihr Leben eindringen, ihr Territorium besetzen? Sie warf die Streichhölzer quer über die Schreibtischplatte. Schließlich war er Geschäftsmann, und das war vermutlich der Broterwerb eines Geschäftsmanns – Dinge anzuhäufen.
    Sie versuchte ihre Gedanken von den Männern im Allgemeinen und von ihren Kunden im Besonderen loszureißen, von den Besuchen in ihrem Büro, wo sie saßen, rauchten, tranken und ihren Charme spielen ließen, bis sie damit herausrückten, was sie wirklich wollten: etwas Besonderes, etwas ganz Besonderes. Sie hätte Ärztin werden sollen, einer dieser neumodischen Hirndoktoren, die den Menschen ihre Verrücktheiten ausredeten, denn ihr war aufgefallen, dass die Geschmäcker ihrer Kundschaft sich mit dem Laufe des Krieges verändert hatten. Heutzutage gehörte, wie sie zu einem hohen Preis herausgefunden hatte, meistens Schmerz dazu – sowohl das Zufügen von Schmerz als auch, vielleicht um eine Art Gleichgewicht zu wahren, das Erleiden von Schmerz. Und dann gab es einen Mann, der gekommen war und sie nach etwas gefragt hatte, von dem nicht einmal sie wusste, ob sie damit dienen konnte. Er war so ein ruhiger, unauffälliger, verschlossener Mann, dass sie nie gedacht hätte …
    Es klopfte. Sie drückte ihre Zigarette aus, warf die Decke ab und versuchte ein wenig Leben in ihr blondes Haar zu bringen, verlor jedoch den Mut, als sie ihr ungeschminktes Gesicht im Spiegel sah. Sie strich den Morgenmantel glatt, zog den Gürtel enger und öffnete die Tür.
    »Klaus«, sagte sie und setzte ein Lächeln auf. »Ich hatte dich nicht erwartet.«
    Felsen zog sie über die Schwelle und küsste sie, ausgehungert nach zwei Tagen in der Kaserne, gierig auf den Mund, ließ dabei seine Hand über ihren Rücken gleiten. Sie drückte sich mit beiden Fäusten von seiner Brust ab.
    »Du bist nass«, sagte sie, »und ich bin gerade erst aufgewacht.«
    »Und?«
    Sie ging zurück in die Wohnung, hängte seinen Hut und seinen Mantel auf und führte ihn in ihr Arbeitszimmer. Er folgte ihr leicht hinkend. Sie hielt sich nie im Wohnzimmer auf, kleinere Räume waren ihr lieber.
    »Kaffee?«, fragte sie auf dem Weg in die Küche.
    »Ich hatte gedacht …«
    »Echten. Und Brandy.«
    Er zuckte die Achseln, nahm auf dem Kundenstuhl vor ihrem Schreibtisch Platz, zündete sich eine Zigarette an und pickte die Tabakkrümel von seiner Zunge. Dann kam Eva mit Kaffee, zwei Tassen, einer Flasche und einem Glas zurück.
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