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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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verrührte.
    »Warum hat Teresa Oliveira ihn nicht angezeigt, wenn er sie vergewaltigt hat?«, fragte er.
    »Sie war eine junge Frau auf der Schwelle zu einem neuen Leben, eine Woche vor ihrer Hochzeit. Ganz zu schweigen davon, dass das Ganze 1982 passiert ist. Damals war die Frauenbewegung in Portugal noch nicht gerade mit Volldampf unterwegs. Selbst in England wäre es in jenen Tagen nicht leicht gewesen, eine Frau zu finden, die bereit war, eine Vergewaltigung anzuzeigen. Denk doch mal nach. Es hätte Folgen für die Ehe gehabt. Es hätte eine wichtige Geschäftsbeziehung ihres Mannes zerstört, es hätte lange peinliche Ermittlungen und am Ende möglicherweise einen Prozess gegeben. Nein … sie hat einfach gehofft, dass es vergehen würde, und das wäre es vielleicht auch, wäre sie nicht schwanger geworden. Und als dann das Baby mit diesen blauen Augen geboren wurde … das muss ein bitterer Tag gewesen sein.«
    Wir zahlten und gingen über das trockene Laub zu unserem Parkplatz. Im Arroios-Park scheuchten Kinder kreischend Tauben vor sich her, die aufflatterten und eine Runde über den Karten spielenden Alten mit ihren Wollmützen drehten.
    »Damit hätten wir ein Motiv«, sagte Carlos.
    »Ich glaube nicht, dass wir schon alles zusammenhaben. Dies war lediglich die Obsession des Mannes – er wollte Miguel Rodrigues zu Fall bringen. Aber hinter der Sache steckt noch mehr.«
    »Und der Mörder?«
    »Wir werden den Mörder finden.«
    »Sie glauben nicht, dass Dr. Oliveira jemand für den Mord bezahlt haben könnte?«
    »Jemand wie Lourenço Gonçalves?«
    »Möglicherweise.«
    »Ich glaube nicht. Ich glaube, seine Obsession war ein wenig raffinierter.«
    Wir blieben unter der Markise eines Ladens stehen, als eine eisige, trockene Böe über den Largo Dona Estefânia fegte.
    »Und was jetzt?«, fragte Carlos.
    »Wir fahren nach Paço de Arcos und suchen Faustinho Trindade.«
    »Besonders glücklich wirken Sie nicht.«
    »Nein, bin ich auch nicht.«
    »Wenn Sie glauben, dass eine gewisse Gerechtigkeit eingetreten ist, warum belassen Sie es nicht dabei?«
    »Willst du Dr. Oliveira nicht überführen?«, fragte ich ihn und hasste mich für die Frage.
    »Wir werden Ärger machen und bekommen, oder?«
    »Davon ist auszugehen.«
    »Schließlich hat man eine Art Lösung erzielt.«
    »Schließt dieses ›man‹ auch den Innenminister ein?«
    »Könnte sein.«
    »Und all die wichtigen Leute, die gekommen sind, um meine erste Vernehmung mit Miguel Rodrigues zu verfolgen … wie Zuschauer im Kolosseum, die den Geruch von Blut genießen, solange es nicht ihr eigenes ist?«
    Er schluckte heftig und angewidert. Ich legte meinen Arm um seine Schulter.
    »Lass uns nach Paço de Arcos fahren«, sagte ich, »und von dort aus weitersehen.«
     
    Der Verkehr in Lissabon war fürchterlich, und auf der Avenida Marginal hatte es einen Unfall mit vier Fahrzeugen gegeben. Das Blut auf dem Asphalt glänzte frisch in der untergehenden Sonne. Als wir in Paço de Arcos ankamen, war es fast Abend. Das Meer war schon dunkel, aber so kabbelig, dass die weißen Schaumkronen der Wellen im schwächer werdenden Licht noch auszumachen waren. Der Horizont war nur ein Lichtstreifen zwischen zwei melancholisch grauen Wolkenbändern. Ich drehte eine kleine Runde durch den Ort, fuhr in Richtung Lissabon wieder auf die Avenida Marginal und bog auf den kleinen Parkplatz vor dem Clube Nautico.
    Auf dem steinernen Kai saßen nur ein paar Angler. Ich wusste nicht, was sie bei diesem Wetter zu fangen hofften, aber beim Angeln geht es offenbar nicht immer darum, Fische zu fangen. Der Leuchtturm von Búgio schickte bereits sein Signal in die Dunkelheit. Von der Costa do Estoril stachen drei Schiffe mit erleuchteten Kabinen in See. Faustinho war in seinem Schuppen, er trug einen blauen Overall und eine dicke Jacke und arbeitete bei schwachem Licht an einem auseinander genommenen Außenbordmotor. Seine Hände waren trocken und schuppig vor Kälte. Sein Hund stand auf und beschnupperte uns.
    »Seit wann sind Sie wieder draußen, Faustinho?«, fragte ich.
    »Seit knapp einer Woche, und ich will nicht darüber reden, Zé. Tut mir Leid, wenn ich Ihnen Ärger gemacht habe, aber ich sage gar nichts mehr. Es ist erledigt.«
    »Sie sollten eine Werkstatt finden, die das für sie macht«, sagte ich mit Blick auf den Motor.
    »Das ist zu teuer.«
    »Erinnern Sie sich an diesen Jungen …«
    »Hören Sie, Zé, ich hab Ihnen gesagt …« Er stutzte. »Der Junge … welcher
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