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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon
Autoren: Robert Wilson
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…«
    »Haben Sie in den fünfzehn Jahren, die Sie mit ihr unter einem Dach gelebt haben, nicht einmal irgendwelche väterlichen …«
    »Sie war eine permanente Erinnerung, Inspektor«, sagte er langsam.
    »Woran … an Ihre Enttäuschung, Ihre …?«
    »Lassen Sie uns weitermachen, Inspektor. Ich habe Ihnen zehn Minuten eingeräumt.«
    »Wenn Sie nicht erwartet haben, dass Borrego sie tötet, was sollte er dann tun?«
    Mit den Fingerspitzen spielte er auf der Tischkante eine Sonate des Vergebens und Vergessens.
    »Und wie viel von alledem geschah mit Wissen des Innenministers?«, fragte ich.
    »Er ist ein Politiker und ein sehr erfolgreicher dazu. Für ihn zählen Resultate, sein Wahlergebnis zum Beispiel. Wie sie erreicht werden, ist für ihn von geringerem Belang. Er hat sich nur für den Kopf des entehrten Miguel Rodrigues interessiert.«
    »Ja, das war vermutlich ein entscheidender Aspekt … seine Entehrung.«
    »Wir wollten, dass er sich nirgendwo mehr verstecken konnte.«
    Wir saßen schweigend da, während ich versuchte, meine Frage durch meine Kehle zu würgen.
    »Sie haben mich eben nach Felsen gefragt«, sagte er, »über seine Rolle. Er hatte mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Er war natürlich wichtig, und Sie mussten ihn finden. Sie mussten ihm seine Geschichte entlocken, aber … er ist jetzt ein sehr alter Mann. Im Grunde reicht sein Verstand nur noch dazu, in immer wieder neuen Versionen die Geschichte seines Lebens zu erzählen.«
    »Er hatte die Dokumente, die waren doch wichtig.«
    »Ja, das wusste ich. Er hatte sie mir gezeigt.«
    »Insofern war er sehr wichtig für Ihre … Ihre Intrige. Sehr wichtig.«
    »Ja«, sagte er und sah mich an. »War darin eine Frage versteckt, Inspektor?«
    »Wie konnten Sie sichergehen, dass ich Felsen finden würde?«, fragte ich mit schweißnassen Händen und klopfendem Herzen.
    Ein Stirnrunzeln huschte über sein Gesicht, schneller als eine Eidechse über eine heiße Straße.
    »Sagen Sie es mir«, meinte er und spielte im Kopf die verschiedenen Möglichkeiten durch.
    Ich versuchte es noch einmal ein wenig direkter.
    »Wie ist Luísa Madrugada auf Felsen gestoßen?«
    »Ah!«, sagte er lächelnd. »Jetzt verstehe ich. Nein, Inspektor, sie hatte nichts damit zu tun. Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen. Fragen Sie sie … fragen Sie sie nach interessanten Notizen, Lesezeichen, die sie in den Büchern gefunden hat, die sie in der Biblioteca Nacional gelesen hat, aber …«
    »War das auch Glück? Dass der ermittelnde Beamte eine Affäre mit …«
    »Sie müssen mir nicht glauben«, sagte er. »Ich hätte so oder so dafür gesorgt, dass Sie Klaus Felsen finden, ob in Luísa Madrugadas Bett oder sonst wo. Und, Inspektor, machen Sie ihr keine Vorwürfe, weil Sie Ihnen nichts von diesen … ähm … Hinweisen erzählt hat. Ich bin sicher, sie liebt Sie – und vor allem am Anfang wollen Liebende für den Partner immer besonders gut aussehen.«
    »Damit kennen Sie sich bestimmt aus, Senhor Doutor«, erwiderte ich.
    »Ich?«
    »An ihrem Hochzeitstag will jede Frau besonders gut aussehen. Teresa war keine Ausnahme.«
    Die Bemerkung ließ irgendwelche Läden in ihm zufallen. Das Licht in seinem Gesicht erlosch, die Quelle seiner milden Freundlichkeit versiegte, und statt ihrer machte sich wieder die intellektuelle Verbissenheit breit, die ich erstmals in seinem Arbeitszimmer in Cascais beobachtet hatte.
    »Man vergisst leicht, Inspektor, dass die Geschichte nicht das ist, was man in Büchern liest. Es ist eine persönliche Sache, und die Menschen sind rachsüchtige Wesen, weshalb wir nie aus der Geschichte lernen werden.«
    »Sie haben Ihre Rache bekommen, das verstehe ich, und Sie haben die Rache anderer ermöglicht – António Borregos, Klaus Felsens, sogar Jorge Raposo hatte seine halbe Stunde …«
    »… und das jüdische Volk«, sagte er. »Vergessen Sie das nicht. Die Menschen werden endlich ihren Besitz zurückbekommen.«
    »Wenn Sie glauben, dass das eine Rechtfertigung dafür ist, Ihren eigenen, privaten Ausgleich für die Launen der Geschichte zu inszenieren, indem Sie Ihre verstorbene Frau bestrafen und ihre illegitime Tochter ermorden lassen, Senhor Doutor Oliveira, dann müssen Sie entweder böse oder verrückt sein. Was von beidem sind Sie?«
    Er beugte sich über seinen Schreibtisch und blickte mit den strahlenden Augen eines Adlers auf mich herab, der sein weites Jagdrevier im Visier hat.
    »Wir sind alle verrückt«, sagte er.
    Er
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