Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers
Autoren: Daniel Loy
Vom Netzwerk:
PROLOG
    A redrel Callindrin, Kaiser des Omukchar, Graf von Horome und weltlicher Gebieter über alle Lande der Menschen, erwachte wie aus einem Albtraum   – und tauchte in einen Albtraum ein!
    Als Erstes stieg ihm dieser Geruch in die Nase, ein Gestank nach Erbrochenem, nach Schweiß, nach verschüttetem Wein. Die Luft war zum Schneiden schwer. Aredrel hörte keuchende Atemzüge und das Schnarchen von Betrunkenen. Er schlug die Augen auf.
    Eine Handvoll Kerzen brannten in der Dunkelheit. Ihr Leuchten drang schwach aus roten Glaszylindern. Von irgendwoher sickerte ein schmaler Streifen Tageslicht in den Raum. Das Licht reichte aus, sodass Aredrel seinen privaten Bankettsaal erkannte und die Umrisse der Zecher, die über der niedrigen Tafel zusammengesackt waren.
    Übelkeit stieg in ihm auf, Übelkeit und Scham. Eine brennende, eine würgende Scham! In diesem Augenblick war der Kaiser froh, dass die Dunkelheit das Schlimmste verhüllte. Er war froh, dass er seine Gefährten nicht sehen musste, seine Getreuesten .
    Er schob die nackte Magd zur Seite, die über seinen Schenkeln lag. Sie regte sich müde und schlief dann weiter. Aredrel erhob sich von dem gepolsterten Nest, das er sich aus großen Kissen vor dem kurzbeinigen Tisch bereitet hatte. Auf schwankenden Beinen stakste er zu einer Seitentür.
    Diener huschten herbei. Sie hatten im Schatten der Hallenwand auf ihn gewartet. Aredrel wehrte ihre Hilfe ab. Eigenhändig zog er den Umhang aus schwerem Goldbrokat fester um sich. Es war das einzige Kleidungsstück, das er am Leibetrug. Er war sich nur allzu bewusst, was für ein Bild er abgab: ein dicker, kleiner, krummbeiniger Mann mit dünnen Haaren, die ihm fettig in der Stirn klebten, dazu die würdelose Nacktheit unter einem losen Mantel, der zweifelsohne befleckt war von den Ausschweifungen der vergangenen Nacht.
    Aredrel, der Kaiser des Omukchar, fühlte sich gedemütigt vor seinen Dienern. Gestern hätte er über diese Vorstellung nur gelacht. An die Lakaien und Wachen in seinem Palast hatte er nie einen Gedanken verschwendet. Heute spürte er, dass er seine Person, sein Amt und seinen Titel und das Reich selbst entweiht hatte.
    »Bponur, hilf   …«
    Er taumelte durch den Raum und murmelte vor sich hin.
    Zu gern wollte er glauben, dass dieser Augenblick ein einmaliger Ausrutscher war, eine durchzechte Nacht am Tag des Lebens vielleicht, wo man derlei Ausschweifungen vergeben konnte.
    Er hätte sich gern eingeredet, dass er in ein neues Leben erwacht war und vergessen hatte, was vorher gewesen war. Doch leider erinnerte er sich an alles, an jeden einzelnen Tag in diesen letzten zwanzig Jahren, in denen er sich selbst Schande gemacht hatte. An jedes Gelage, an jeden   … Wahnsinn.
    Wie konnte es sein, dass er gestern nichts von alledem empfunden hatte und dass er es mit einem Mal so schmerzhaft spürte? Lauerte der Wahnsinn tatsächlich in jenen Erinnerungen, die ihn quälten? Oder war das jetzt der Wahnsinn, dieser Augenblick, der sich anfühlte wie eine Erkenntnis?
    Bponur, mach, dass es vorbei ist, dachte er nur.
    Aredrel erreichte die Tür. Er sah den grellen Streifen, der darunter hindurch ins Zimmer fiel. »Bleibt zurück«, befahl er den Dienern. Er wollte nicht, dass sie ihn im gnadenlosen Licht des Tages erblickten.
    Er schlurfte auf den Flur, der von einer Reihe hoher Fenster gesäumt war. Mit den Händen beschirmte er die Augen und huschte weiter, so schnell seine zitternden Beine ihn trugen.
    Er wollte sich waschen. Sich ankleiden. Da tauchte neben ihm ein Schatten auf, wie aus der Wand gewachsen. Aredrel zuckte zurück. Fast hätte er seinen Umhang verloren. Dann erkannte er die schwarze, hagere Gestalt seines Hofmagiers.
    Runnik .
    Aredrel dachte an ihre gemeinsamen Ausflüge in die Gewölbe unter dem Palast, an die Magie, die Runnik ihm dort zu ihrer beider Vergnügen vorgeführt hatte. An die blutigen Opfer. An grotesk verzerrte Körper, deren Fleisch sich formen ließ wie Lehm. An Tote, die an kupfernen Fäden hingen und zuckend tanzten zur Kurzweil des Kaisers.
    Runnik war ihm wie ein Bruder gewesen, ein Bruder im Geiste. Und jetzt, bei Gott, jetzt fürchtete er diesen Mann!
    »Eure Majestät sind wach.« Eine leichte Falte zeigte sich auf Runniks Stirn.
    Aredrel bot seine ganze Entschlossenheit auf und ließ sich nichts anmerken. »Runnik. Du hast mich erschreckt. Du solltest nicht aus finsteren Winkeln herabschweben wie eine Fledermaus.«
    »Es tut mir leid, Majestät.« Der Hofmagier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher