Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
hineinfühlte in seine Verbrecherhaftigkeit, fühlte er sich wohl. Solange er es nicht gewagt hatte, Verbrecher zu sein, hatte er sich Vorwürfe gemacht, hatte sich überspannt gefühlt gespalten. Seit er sich annahm als Verbrecher, war er einig mit sich selber. Vielleicht könnte er jetzt sogar wieder etwas genießen. Vorher war ihm immer alles durch Vorwürfe, die er glaubte, sich machen zu müssen, verdorben worden. Als anständiger Mensch durfte er ja an allem, was e tat, keinen Gefallen finden.

    Alles, was er tat, war vorwerfbar, schlecht. Als Verbrecher mußte er sich keine Vorwürfe machen.

    Ich wurde gestört.
    Das Kommissariat 111, eine Frauenstimme, Herr Kriminalkommissar Meisele wolle mich sprechen, sie verbinde. Dann Herr Meisele im heitersten Ton. Tut ihm leid, wenn er mir eine Nachricht verklickern muß, die mich sicher nicht nur erfreue. Sein großer Kollege Wedekind könne mich heute nicht mehr empfangen, müsse das Gespräch, an dem ihm gelegen, sehr viel gelegen sei, verschieben. In der Hoffnung auf mein Verständnis bitte sein großer Kollege Wedekind um eben dieses Verständnis und melde sich wieder. Ob die Botschaft angekommen sei. Das bestätigte ich. Dann sei es ja gut. Das sei mehr als er, der KK Meisele, seinerseits habe erhoffen können. Dann fast schroff: Guten Tag. Und aufgelegt.
    Na ja, ob mir der KHK wirklich das hätte erzählen können, worauf es mir angekommen wäre? Ich würde mich selber auf den Weg machen müssen. Im Wunsch, Verbrecher zu sein wollte ich jetzt nicht weiterlesen.

    4

    Eine Woche nach der dann abgesagten Unterredung mit KHK Wedekind hatte der wieder angerufen, hatte sich darüber gewundert, daß ich die Verabredung ohne weitere Mitteilung einfach habe ausfallen lassen. Ich klärte ihn auf. Ach, sagte er, der arme, der elende Meisele. Und erklärte mir, daß auch bei ihnen der Zwang erfolgreich zu sein, immer spürbarer werde. Meisele rudere seit Wochen in einem Fall herum, es habe ja zuerst auch in den Zeitungen gestanden, ein Maschinenschlosser, zerfressen vom Ehrgeiz, Ingenieur zu sein, hat einen Nobody erschossen, wahrscheinlich aus ethno-ästhetischen Gründen, der Täter habe mit Hans Lach in der Gemeinschaftszelle in der Ettstraße genuschelt, und seitdem widerrufe er alle paar Tage das, was er gerade noch gestanden hatte, so komme der arme Meisele überhaupt nicht weiter, und habe jetzt, wahrscheinlich aus unzurechnungsfähig machender Verdrossenheit, versucht, ihm, dem KHK, das Spiel auch zu verderben. Das werde für den Armen leider desaströse Folgen haben, eine Versetzung mindestens nach Freising oder Straubing. Anfangs sei Meiseles Täter eher geständnissüchtig gewesen. Er, Wedekind, vermute, daß Lach diesen Breithaupt indoktriniert habe und ihn bei den Hofgängen in Stadelheim weiter indoktriniere: gestehen, widerrufen, gestehen … bis zur völligen Aufhebung jedweden Sachverhalts. Ihm, Wedekind, komme das vor, als liefere Hans Lach da eine Variante zu seinem Schweigen. Der Ermittler, hier der arme Meisele, werde zur Schreibkraft. Er, KHK Wedekind, vermute, daß Meisele naiv genug sei, ihm, Wedekind, einen Fall zu neiden, bei dem der wahrscheinliche Täter und das Opfer gleichermaßen prominent sind. So zu denken sei typisch für einen fast prinzipiell Subalternen wie Meisele. Er, Wedekind, verspüre die Prominenz abwechselnd als Gas und als Bremse. Ich war im Augenblick nicht wichtig für ihn, weil er erfahren hatte, daß Hans Lach auch mich nicht mehr zu sich ließ. Außer seiner Frau Erna wolle er niemanden sehen. Aber auch ihr, so der KHK, sitze er wortlos gegenüber. Seiner Frau aber habe er das, wissend, daß der Oberregierungsrat zuhöre, erklärt: Er gehöre zu einer Vogelart, die in Gefangenschaft nicht singe. Wedekind sagte, Hans Lach sei für ihn, den Ermittler, die Provokation schlechthin. Ihm sei aus der Kriminalgeschichte kein Verdächtiger bekannt, der kein bißchen an seiner Verteidigung interessiert zu sein scheint. Aber er gebe nicht auf. Von ihm werde jetzt verlangt, Hans Lach aus seiner Erstarrung zu lösen, ihm beizubringen, daß nur ein Geständnis ein Weiterleben ermögliche. Die Schuld bei sich behalten wollen, das sei eine Anmaßung, eine tödliche Anmaßung.
    Bei diesem Gespräch begriff ich meine Rolle. Ich, der Gegenspieler Wedekinds. Er will die Schuld beweisen, um Hans Lachs zu erlösen natürlich, ihn wieder aufzunehmen in die Menschheit, ich muß die Unschuld beweisen. Er ist überzeugt von Hans Lachs Schuld, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher