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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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Aber da wir doch sicher noch mit einander zu tun hätten, lade er mich ein, einmal zu ihm in die Dienststelle zu kommen. In die Bayerstraße, wo die Mordkommission logiere. Er hoffe nicht, daß das Wort Mordkommission mich abschrecke. Also. Ja, sagte ich, warum nicht.
    Na ja, warum dann aber nicht gleich, sagte er. Nach seiner Erfahrung altere alles, was mit einem Fall auch nur entfernt zu tun habe, ungeheuer rasch. Dabei bleiben, dran bleiben, das sei nicht nur sein Rezept, sondern sein Bedürfnis. Er würde, solange so ein Fall noch ein blühendes Rätsel sei, die Dienststelle am liebsten überhaupt nicht mehr verlassen. Also: Wann seh ich Sie. Am Nachmittag, sagte ich. Er wiederholte fast singend: Am Nachmittag! So kann sich nur ein Freischaffender ausdrücken. Aber er finde das ansteckend. Dienststellendienstzeit sei von siebenuhrfünfzehn bis fünfzehnfünfundvierzig. Käme ich um halb vier, dann hätten er und ich Ruhe und könnten gründlich reden.
    Als ich aufgelegt hatte, ging ich an mein rundbogiges von Sprossen schön eingeteiltes Großfenster und sah hinaus auf die die Straße säumenden Schneebäume, auf die hohen Schneeborten, die alle Zäune und Autos zierten. Verschneit kann es das Viertel, was Stille angeht, mit jedem Winterwald aufnehmen. Hans Lach hat wirklich Glück gehabt. Und hat immer noch Glück. Oft genug folgt auf einen solchen ausgiebigen Schneefall in München ein Wärmeeinbruch, der Föhn schmilzt in ein paar Stunden alle Schneelasten weg, die ganze Stadt rauscht nur so vor nicht schnell genug abfließen könnendem Schneewasser. Jetzt aber, nach wie vor kalt, die Schneedecke hält sich. Ich unterstellte Hans Lach also auch schon, daß er es getan habe. Ich holte aus dem Regal: Der Wunsch, Verbrecher zu sein.
    Ich hatte in dieses Buch, als es vor zwei Jahren erschienen war, zwar manchmal hineingeschaut, aber nie lange darin gelesen. Der Untertitel: Flüchtige Notizen hatte mich abgeschreckt. Dann auch die … ja, die Tonart dieser Notizen . Ich hatte gedacht: Er nimmt sich wichtiger als er ist. Als ich das Buch jetzt wieder aufschlug, dachte ich, daß das doch menschenüblich sei, sich wichtiger zu nehmen als man ist. Gewissermaßen lebensnotwendig. Also verständlich, wenn schon nicht verzeihlich. Ich fragte mich, ob man auch noch schriftlich bezeugen müsse oder dürfe, daß man sich wichtiger nehme als man sei. Jetzt aber hatte ich soviel Anlaß, das Buch aufzuschlagen wie der KHK. Ich las quer durch:

    Ein Tag, an dem die Maske verrutschte. Jetzt hast du zu tun, sie wieder zurechtzurücken. Das gelingt nur mit Verletzung der Maske und des Gesichts. Paß also auf das nächste Mal, wenn du wieder an deiner Maske zerrst. Hände weg von der Maske.
    Es gibt nicht wenige, die achte ich mehr als sie mich. Ich verharre gern bei dieser Differenz. E tut mir geradezu gut, sie mehr zu achten, als sie mich achten. Wahrscheinlich glaube ich, daß ich schon deswegen ihre Achtung, die sie mir vorenthalten, verdient hätte.

    Er kann sich nicht wegwenden von sich, solange er so schwach ist. Der Verlierer ist unersättlich mit sich selbst beschäftigt. Der Sieger wendet sich neuen Aufgaben zu.

    Wenn du ein bißchen herausgehst aus dir, bist du sofort unmöglich.

    Mein Feind läßt am Horizont die Waffen blitzen. Es gibt nichts, das ihm nicht diente.

    Schriftsteller sind ununterbrochen (und ununterbrechbar) mit dem Notieren ihres Alibis beschäftigt.

    Gestern nacht vom Mord geträumt, wieder vom längst geschehenen. Nichts vom Opfer. Nur die Angst, entdeckt zu werden. Diesmal das Opfer im eigenen Haus vergraben. Einzige Chance, nicht entdeckt zu werden: ausgraben und irgendwo weit weg loswerden. Das ist doch vorstellbar. Das muß gehen. Aber eben dabei kann man, muß man entdeckt werden. Die Angst quält so, daß man sich wünscht, das Entdecktwerden endlich hinter sich zu haben. Aufwachen. Wie immer, froh, weil es doch nur ein Traum war.

    Du bist froh, daß Deutschland aus der Fußball-WM ausscheidet im Viertelfinale gegen Bulgarien, weil du einen Gegner hast, der fanatisch auf den deutschen Sieg hofft. Den trifft die deutsche Niederlage mehr als dich, deshalb bist du glücklich über die deutsche Niederlage.

    Er hat sich lange genug beherrscht. Immer hat er statt andere sich selber verletzt.

    Er muß in Träumen jetzt öfter Leichen verstecken, und wo immer er eine Leiche hinbringt (unte das Hotelbett zum Beispiel), liegt immer schon eine andere Leiche, die nicht von ihm stammt.

    Als er sich
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