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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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bin überzeugt von seiner Unschuld.
    Ich machte mich auf den Weg. Ich mußte die Tatnacht rekonstruieren. Und das heißt: die Party in der Verleger-Villa. Und ich habe sie rekonstruiert. Party-Archäologie habe ich betrieben. Wie verläßlich sind die Wände, die von Pompeji erzählen, verglichen mit dem, was Intellektuelle über einen solchen Abend berichten. Ich habe nicht versucht, was ich erfuhr, für irgendeine Vermutung in Dienst zu nehmen. Ich habe mich einer Art Empfindungsaskese unterworfen. Vielleicht würde sich, aus allem, was sich erfahren ließ, irgend etwas Bestimmtes ergeben. Nach etwas Bestimmtem zu fragen oder gar zu fahnden, habe ich mir verboten, dieses Verbot habe ich mir vor jedem Gespräch wieder aufgesagt. Wenn Hans Lach unschuldig ist, und das ist er ganz sicher, dann mußte sich aus dem, was sich bei mir zusammenfand, ergeben, daß er nicht der Täter sein konnte. Unschulds-Indizien, und zwar Indizien einer höheren Qualität als blutgetränkte Pullover und zugeschneite Spuren im Schnee. Die Ermittler hatten den Schnee im Hof der Verleger-Villa und auf der Thomas-Mann-Allee, soweit die Villa an sie grenzt, wegblasen lassen, um mehrere Phasen dieser Nacht von einander unterscheiden zu können, also etwa Fußspuren um Mitternacht, die später zugeschneit wurden, von solchen unterscheiden zu können, die von Gästen stammten, die erst um zwei Uhr morgens die Party verlassen hatten. Die letzten hatten die Villa um fünf Uhr morgens verlassen. Ehrl-König selber war schon kurz nach zwölf gegangen. Ob er allein gegangen sei oder ob Cosima von Syrgenstein mit ihm gegangen sei, war den einen so, den anderen anders in Erinnerung. Diese Cosi Genannte selber war nicht aufzufinden. Sie hatte allerdings, bevor Ehrl-König die Villa betreten hatte, zu mehr als einem gesagt, sie fliege am nächsten Tag weit fort. Wohin und mit wem, hatte sie nicht dazugesagt. Bernt Streiff wollte gehört haben: Auf eine Insel.
    Zur Sache selbst. Die Intellektuellen huren heute mit der Öffentlichkeit genau so wie vorher mit Gott. Wer das für einen Vorwurf hält, weiß nicht, was Gott war und was die Öffentlichkeit ist. Wochenlang war ich unterwegs zu den Kulturmenschen jeder Art; aber nur zu solchen, die auf der Party in der PILGRIM Villa gewesen waren. Ich habe immer schriftlich erbeten, kommen und fragen zu dürfen. Mein Motiv: Hans Lachs immer noch währendes Schweigen. Ich nannte es auch sein alarmierendes Schweigen. Und immer sagte ich dazu, daß ich mit Hans Lach befreundet sei.
    Ich wollte anfangen mit der Person, die den größten Überblick hatte, die gründlichste Kenntnis und vielleicht sogar das heftigste Bedürfnis nach Aufklärung: Frau Julia Pelz, selber Dichterin und Verlegergattin. Sie weist, wie ich von Professor Silberfuchs weiß, bei jedem Gespräch darauf hin, daß ihre Lyrikbände nicht bei ihrem Mann erschienen sind, sondern bei Suhrkamp. Daß das jeder weiß, weiß sie auch. Daß sie immer darauf hinweisen muß, wird, wenn sie erwähnt wird, immer als ihre Charakteristik dazugesagt. Silberfuchs: Wenn sie sich von ihrem Mann verlegen ließe, könnte sie’s gleich bleiben lassen. Und fügte leise, obwohl kein Mensch in der Nähe war, hinzu: Das sollte sie, sagen manche, sowieso. Er, sagte Silberfuchs, sage das nicht. Wenn jemand schon Gedichte schreibe, dürfe er die auch gedruckt sehen. Das sei ein Menschenrecht. Gedichte zu schreiben sei sowieso Ausdruck einer weitreichenden, jedes Mitgefühl verdienenden Schwäche. Die könne, wenn überhaupt, dann nur durch Gedrucktwerden gelindert werden.
    Zu allererst sprach ich dann doch, einfach, weil wir einander schon kannten, mit Silberfuchs, der mit der Lach-Prägung Silbenfuchs besser bezeichnet ist. Er wird es mir, das habe ich mitgekriegt, nicht verübeln, wenn ich bei Silbenfuchs bleibe.
    Wo reden wir, fragte ich am Telephon. Gern in Gern, sagte er und lachte sein immer bereites Lachen. Oft genug erwähnt er: Ich komme aus Bingen am Rhein.
Also bei mir, sagte ich.
    Ich lernte herauszuhören, ob mein jeweiliger Gesprächspartner Hans Lach die Tat zutraute oder nicht. Keiner sagte: Er war’s. Natürlich auch Silbenfuchs nicht. Interessant waren die Einschränkungen der jeweiligen Bezeugung der Lachschen Unschuld. Tenor: Wer kennt schon den Menschen! Ist nicht jeder von uns ein Mörder, der seine Tat nicht begeht! Bernt Streiff ging, bei einem ersten Telephongespräch am weitesten. Wenn er, Streiff, DEM, nämlich Ehrl-König, begegnet wäre direkt
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