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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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herum an drei Wänden jede Art Polsterangebote bereit seien. Die drei Wände ergäben natürlich keinen Raum, sondern eine Andeutung von etwas Räumlichem. Auf dem obersten Niveau tritt immer Ehrl-König auf, seine SPRECHSTUNDEN Assistentin, sein Überraschungsgast und Ludwig Pilgrim selber. Da hinauf seien die mit einem Aufzug aus dem Souterrain gefahren. Um die oberste Plattform laufe ein Geländer wie eine Reling. Das Ganze da droben sehe aus wie die Kommandobrücke eines stattlichen Schiffes. Und das solle es wahrscheinlich auch. Das Auffallendste dort ist aber die gewaltige Aufzugstür: wenn die sich öffnet, atme förmlich der ganze Raum auf und halte den Atem an, und dann trete eben mit Gefolge Ehrl-König heraus. Den gelben Pullover umgeschlungen. Diese kühnste Villa der Moderne, von jenem Chikagoer Star-Architekten gebaut, wirke, wenn Ehrl-König mit Gefolge auf den breiten Treppen über zwei weitere Ebenen zu uns in die Polsterbucht herunterschreite wie für diesen Auftritt gebaut. Bitte, alle Senkrechten weiß, alle Waagrechten schwarz, auch an den Treppen, schwarzweiß, darauf jetzt der hellgelbe Cashmere und der jetzt nur noch strahlende Ehrl-König. Auf allen Niveaus Gäste, alle wollen ihn grüßen, aber er schreitet lächelnd weiter abwärts, bis er unten ist, in der Polsterbucht, einer wahrhaften Polsterlandschaft, wo die meisten Gäste warten. Auf allen Niveaus sind jetzt alle aufgestanden, die Gläser haben sie schon weggestellt, alle klatschen, standing ovation. Da er, sagte Silbenfuchs, nicht jedesmal zu dieser Party geladen sei – die Einladung folge irgendwelchen schwer durchschaubaren Strategien –, wisse er nicht, ob standing ovation Routine sei oder nur, wenn die SPRECHSTUNDE als besonders gelungen empfunden wurde. So oft Silbenfuchs aber dabei gewesen sei, so oft habe es standing ovation gegeben, was vermuten lasse, daß es sich um ein Ritual handle. Um ein schönes, immer wieder herzlich aufgeführtes Ritual. Gerade habe man ja noch die SPRECHSTUNDE angeschaut, kollektiv, auf einer aus der Decke herabgelassenen Leinwand. Da diesmal Hans Lach dran war als Schlechtes Buch und Philip Roth als Gutes Buch, war Lach Mittelpunkt. Seit wann ist ein Autor, der drankommt, Partygast habe er, Silbenfuchs, noch gedacht. Das war noch nie. Und dann auch noch der Autor des Schlechten Buches. Das zeichnet ja Ehrl-Königs SPRECHSTUNDE aus. Bücher sind Gut oder Schlecht. Der Rest ist Korruption. Sagt Ehrl-König. Das Schlechte Buch, das Gute Buch, dann der obligatorische Überraschungsgast, von dem Ehrl-König sich bestätigen läßt, wie genau seine Diagnose, sein Urteil, das übers Schlechte und das übers Gute Buch zutreffe. An diesem Abend war Martha Friday aus New York der Überraschungsgast . Ihre lockeren und ein bißchen bemüht lasziven Schriften erscheinen Deutsch ja auch bei PILGRIM . Jetzt schilderte Silbenfuchs die Sendung, schilderte, wie sie in der PILGRIM Villa gewirkt habe. Er nahm wohl an, die Sendung sei mir unbekannt geblieben. Da ich wissen wollte, wie die Sendung in der Pilgrim Villa angekommen ist, verriet ich nicht, daß ich die Sendung inzwischen schon zehnmal gesehen hatte. Also die Sendung. Martha Friday habe allem, was Ehrl-König sagte, fast genau so heftig zugestimmt, wie der es gesagt habe, das heißt, sie habe wie ein Verstärker gewirkt; was bei Ehrl-König grell herauskam, habe sie durch Augenverdrehen, Mundaufreißen und Indiehändeklatschen noch greller gemacht. Wurde er nachdenklich oder gar leidend, litt sie noch mehr als er. Einen besseren Überraschungsgast als diese Martha Friday habe Ehrl-König in den siebzehn Jahren SPRECHSTUNDE nicht gehabt, blitzgescheit und schön und eine Darstellungsvirtuosin, für laut und leise gleich gut. Überhaupt, wie die zusammengespielt haben, einander bis ins feinste Mimische oder ins gröbste Akustische einfach ideal ergänzend. Das Gute Buch, das von Philip Roth, hatte sie natürlich gelesen, das von Hans Lach natürlich nicht. Aber da Ehrl-König mit Händen und Füßen und wild kreisendem Kopf und einer sich bis zum Überschlagen steigernden Stimme demonstrierte, wie er darunter gelitten habe, dieses Buch lesen zu müssen, war sie einfach mitgerissen worden, klatschte laut in die Hände, als er sagte, ob das denn kein Urteil sei, wenn einem ein Buch immer wieder aus den Händen rutsche, weil man bei seiner Lektüre eingeschlafen sei. Die Leute im Fernsehstudio schlossen sich dem Lachen und Klatschen Martha Fridays immer wieder
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