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Das Geheimnis der chinesischen Vase

Das Geheimnis der chinesischen Vase

Titel: Das Geheimnis der chinesischen Vase
Autoren: Stefan Wolf
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1. Die Wette
     
    Er war kein übler Kerl, nur ein
bisschen angeberisch, und mit der Lässigkeit übertrieb er es wirklich. Wie ein
verbogenes Fragezeichen hing er in seinem Sessel. Die Füße hatte er auf den
Schreibtisch gelegt und im linken Mundwinkel klebte eine Zigarette. Der
aufsteigende Rauch ließ sein Auge tränen — das linke deshalb klappte er es zu.
Jetzt sah er aus wie ein Uhu im Halbschlaf: Dieter Kisch, der 19-jährige
Chefredakteur der Schülerzeitung BLICKPUNKT.
    Mit dem unbehinderten Auge
blickte er Gaby und Tarzan an. Sie saßen vor seinem Schreibtisch: die beiden
rührigsten Mitarbeiter des IIB (Internats-Intelligenzblatt). Ohne sie —
das wusste Dieter genau — wäre manche Ausgabe gar nicht zu Stande gekommen.
Daher — verärgern wollte er sie auf keinen Fall. Dennoch konnte er seine
Hochnäsigkeit nicht ganz ablegen, war er doch immerhin Schüler der 13. Klasse,
während die beiden in der 9b die Bänke drückten.
    »Niiieee«, sprach er also durch
den rechten — den freien Mundwinkel, »schafft ihr das. Oder ich lasse mir die
Hand abhacken.«

    »Wir haben keinerlei Interesse
daran«, erwiderte Tarzan, »dich zu verstümmeln. Außerdem, Dieter, was sollten
wir mit deiner Flosse? Wenn du wetten willst, musst du was anderes bieten.«
    Gaby kicherte verhalten und
pustete dann gegen ihren goldblonden Pony, der wieder mal schnitt- und
scherenreif war, ihr also tief in die Augen hing. Wenn sie die Lider hob,
kollidierten (zusammenstoßen) die Ponyfransen mit ihren langen,
schwarzen Wimpern.
    Dieter blies etwas Rauch aus
und bemühte sich um eine überlegene Miene. »Ich wette 100 Mark, dass ihr es
nicht schafft.«
    »Au Backe!«, dachte Tarzan.
»Verlieren wir, können wir unser Taschengeld bis zum Jahresende als gepfändet (beschlagnahmen) betrachten. Und jetzt ist erst September. Trotzdem! Wäre ja gelacht! Was ein
richtiger Reporter ist, der interviewt (befragen) auch den Teufel in der
Hölle. Aber ein Teufel ist dieser Werner Hempel bestimmt nicht.«
    »Na?«, fragte Dieter von oben
herab, obwohl er noch tiefer in seinen Sessel gerutscht war. »Kalte Füße?«
    Tarzan lächelte. An Gaby
gewandt, sagte er: »Ich nehme die Wette an, Pfote. Damit trage ich auch das
Risiko...«
    »Kommt ja gar nicht in Frage«,
fiel sie ihm ins Wort. »Ich bin dabei. Wenn wir verlieren, teilen wir uns die
Pleite. Aber«, steil richtete sie sich auf, die Schultern zurückgezogen, »wir
verlieren nicht.«
    Dieter grinste. Mit seinem
Altersvorsprung von mehr als fünf Jahren fühlte er sich unschlagbar.
    »Ich will fair (anständig) sein. Ich selbst habe schon mehrmals versucht, diesen Kaufhausdetektiv zu
interviewen. Hempel lässt sich zum Bier einladen und quatscht allerhand Unsinn.
Aber sobald man gezielte Fragen stellt, rasseln bei ihm die Rolläden runter.
Besonders, wenn es um die Art der Jugendkriminalität geht, mit der er zu tun
hat: um minderjährige Kaufhausdiebe. Jeder geistige Tiefflieger weiß: Im
größten Kaufhaus der Stadt wird wie irre geklaut. Tagtäglich werden zig
Jugendliche erwischt. Aber Hempel lässt sich nicht einen einzigen Fall aus der
Nase ziehen. Diebe? Gibt’s bei uns nicht!, sagt der mir frech ins Gesicht. Als
wären alle Kunden Engel! Dabei steht statistisch fest: Jeder zehnte jugendliche
Kaufhauskunde hat so lange Finger wie unsereins Beine.«
    »Solche Langfinger würden aber
auffallen«, meinte Tarzan. »Ist nett, dass du uns warnst. Trotzdem, die Wette
gilt. Spätestens in 14 Tagen legen wir die Reportage vor: geschrieben und
belegt. Mindestens ein Halbdutzend interessanter Fälle, wobei wir — wie
besprochen — besonders den Hintergrund beleuchten, die menschliche Seite:
Warum, weshalb klauen Kinder und Jugendliche?«
    »Aus der Sache wird zwar
nichts«, sagte Dieter. »Aber das Thema Junge Diebe in unserer
Wohlstandsgesellschaft wäre nett gewesen.«
    »Weshalb sperrt Hempel sich
so?«, fragte Gaby.
    »Nehme an, er hat Angst um
seinen Job. Er befürchtet, dass er Ärger kriegt — mit seinem Chef, mit den
Eltern der Diebe, mit seinem Gewissen. Na ja«, er wedelte gönnerhaft mit der
Hand, »versucht euer Glück! Mit eurem Hunderter werde ich mir dann ein tolles
Wochenende machen. Vielleicht lade ich euch ein.«
    Tarzan grinste. »An deiner
Stelle würde ich mit dem Sparen anfangen. Sonst hast du bald Schulden bei uns.«
    Dieter lächelte gequält, und
die beiden verließen das kleine Büro, das im so genannten Gelben Haus, einem Nebengebäude, lag.
    Milder Sonnenglanz
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