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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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an. Zuerst einmal müsse festgestellt werden, daß Hans Lach dieses Buch vorsätzlich gegen ihn, Ehrl-König, geschrieben habe. Seit er, Ehrl-König, hier SPRECHSTUNDE halte, also immerhin seit siebzehn Jahren, habe er nicht aufgehört zu sagen, daß ein Roman, der mehr als vierhundert Seiten lang sei, ihm, dem Leser André Ehrl-König, zu beweisen habe, warum er mehr als vierhundert Seiten lang sein müsse. Hans Lach denke nicht daran, diesen Beweis zu liefern. Zweitens: Die weibliche Heldin dieses Romans sei eine beschränkte Person, deren Beschränktheit vom Roman selbst sozusagen auf jeder zweiten Seite zugegeben werde. Er, Ehrl-König, predige in einer ihm schon selbst auf die Nerven gehenden Hartnäckigkeit, daß er beschränkte Weibspersonen weder im Leben noch in Romanen ertrage. Was tut Feroind Lach: schiebt eine unbelehrbar bescheränkte Weibsperson über vierhundertneunzehn Seiten durch einen Roman, der dann auch noch Mädchen ohne Zehennägel heißt. Oh, wie habe er, dieses Buch lesen müssend, die Putzfrauen, Pardon, die Reinigungsfrauen in öffentelichen Gebäuden beneidet. Was für eine interessante, spannende Tätigkeit, den Staubsauger über immer neue Bodenschattierungen zu führen, begeleitet vom wunderbaren Gerundton des Elekteromotors. Und er muß einen Roman lesen mit bald sovielen Personen wie Seiten. Ach was, Personen! Wenn’s doch Personen wären, nur Namen seien’s, Pappfiguren mit deraufgekelebten Namen, bis hundert habe er mitgezählt, dann habe er’s gelassen, da lese er doch lieber gleich das Telephonbuch, habe er gedacht. Martha Friday lachte hell heraus, klatschte, so auch das Publikum. Ach ja, Martha, seufzte er dann, Sie wissen nicht, was man mitmacht, wenn man sein Leben für die doitsche Literatür opfert. Fast nur dämliche Ferauenfiguren, keine Erotik, die einem unter die Haut gehe, keine Sexualität, die es mit einem Glas Champagner aufnehmen könnte, nichts als Fanta, Fanta, Fanta, aber ohne -sie. Bitte, Mädchen ohne Zehennägel , schon der Titel, ach, warum hat man nicht in einer Zeit leben dürfen, in der die Bücher Madame Bovary, Anna Karenina und Effi Briest hießen. Mädchen ohne Zehennägel , was hat dieser Autor beloß gegen Zehennägel, und auch noch bei Mädchen, Martha, ich bin sicher, Sie haben die entzückendsten Zehennägel der Welt! Und Martha Friday: Stimmt! Aber woher wissen Sie das? Er: Phanta-sie. Nein, im Ernst, ich seh’s an Ihren Fingernägeln. Er sei ein scharfer Beobachter, sagte Martha. Und er: Das sei ja das, was die Autoren an ihm nicht liebten, daß er scharf hinschaue. Mädchen ohne Zehennägel . Neugierig bin ich schon gewesen, ein bißchen bekelommen auch, verstehen Sie, bei Mädchen ohne Zehennägel darf man bekelommen sein. Darf man? Und Martha: Man darf. Er: Martha, ich danke Ihnen. Martha: You’re welcome. Das Publikum lachte. Dann erläuterte er, daß der Roman in einem TennisCelub spiele. Originell sei das gerade nicht, was sich unser Feroind da wieder geleistet hat. Er, Ehrl-König, sei beim Lesen öfter von der Vorstellung heimgesucht worden, er lebe im Jahr 2030, ihm sei ein Buch in die Hand geraten, Mädchen ohne Zehennägel , geschrieben von Hans Lach, er schlägt auf, liest, und ihm wird von Seite zu Seite deutlicher: eine Fälschung. Ein Nachmacher, ein derittklassiger Nachmacher spielt sich da als Hans Lach auf und spekuliert: wir merken das nicht. Fehlspekulation. Wir haben es bemerkt. Eindeutiger Befund, Hans LachImitation deritter Kelasse.
    Dabei warf er die Hände so heftig schräg nach oben, daß es aussah, als wolle er sie loswerden. Das war bei ihm immer die Geste seiner völligen Hingerissenheit von sich selbst, sein Publikum kennt das und reagiert seinerseits auf jeden so von ihm produzierten Höhepunkt mit Hingerissenheit, Lachen, Klatschen, auch schon mal mit begeistertem Johlen. Sein runder Kopf falle, wenn er die Hände so fortwerfe, schräg nach unten, sagt, vom Genauigkeitsehrgeiz befallen, der Professor. Er sei deshalb schon mit Christus verglichen worden. Das sei ihm einmal in einer der vielen Talk-Shows, die er absolviere, gesagt worden, halb spielerisch natürlich. Er aber habe sofort zugegriffen mit einer Heftigkeit, die zwischen Spiel und Ernst keinen Unterschied mehr gestatte: Ihm sei vom gescheitesten der jungen DAS Intellektuellen bescheinigt worden, daß er durch seine SPRECHSTUNDE die Tradition des elenden Sowohl-alsauch in der Literaturkritik beendet habe, er sei da gefeiert worden als der
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