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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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gestellt und, da er kein Alibi nachweisen konnte und nicht bereit war, auch nur eine einzige Frage zu beantworten, verhaftet worden. Sein Zustand wird als Schock bezeichnet.
    Ich konnte, als ich das las, gar nicht mehr richtig atmen. Aber ich wußte doch, daß Hans Lach es nicht getan hatte. So etwas weiß man, wenn man einen Menschen einmal mit dem Gefühl wahrgenommen hat. Und obwohl ich über seine Freundschaften nicht viel weiß, beherrschte mich, als ich das las, sofort eine einzige Empfindung: er hat außer dir keinen Freund. Ich rief sofort Joost Ritman an und sagte, daß ich sofort zurück nach München müsse. Als ich noch sagen wollte, warum ich sofort zurück müsse, merkte ich, daß das gar nicht so leicht mitzuteilen sei. Ich sagte: Ein Freund ist in eine Not geraten. Manchmal spricht man, wenn man genau zu sein versucht, wie ein Ausländer.
    Weil ich zu hastig aufgebrochen war, prüfte ich erst auf dem Bahnsteig, ob nichts vergessen worden sei. Der Ausweis fehlte. Man hatte ihn an der Rezeption erbeten und, weil ich es beim Aufbruch so eilig hatte, vergessen, ihn mir wiederzugeben. Hintelephoniert. Ein junger Asiate brachte ihn sofort. Ich versäumte den Zug, den ich herausgesucht hatte, nicht. Aber nach einer Stunde Fahrt blieb der Zug stehen, auf freiem, holländisch weitem Feld. Und keine Erklärung. Als einige Reisende schon laut wurden, endlich die Ansage: Deze trein is afgeschaft. Wir mußten aussteigen, auf den Ersatzzug warten. Für mich hing das alles mit Hans Lach, EhrlKönig und München-Bogenhausen zusammen. Mir sollte Zeit gegeben werden zu überlegen, ob ich wirklich so überstürzt nach München zurückfahren sollte, mußte, durfte. Meine Empfindung war unmißverständlich. Aber da, wo in einem gerechnet, berechnet und geprüft wird, meldete sich die Gegenstimme. Sind Hans Lach und ich wirklich befreundet? Der bekannte, fast populär bekannte Hans Lach und der im Fachkreis herumgeisternde Michael Landolf? Vielleicht sind wir nur befreundet, weil wir keine fünf Minuten (zu Fuß) von einander entfernt wohnen. Er in der Böcklin-, ich in der Malsenstraße, also im Malerviertel des lieblichen Stadtteils Gern. Wir passen beide besser hierher als nach Bogenhausen, hat Hans Lach einmal gesagt. Er ist allerdings deutlich jünger als ich. Hält also noch mehr für möglich als ich. Wir haben einander fast ein bißchen schamhaft gestanden, daß wir ohne die Gerner Nachbarschaft kaum Freunde geworden wären. Er, immer mitten im schrillen Schreibgeschehen, vom nichts auslassenden Roman bis zum atemlosen Statement, ich immer im funkelndsten Abseits der Welt. Mystik, Kabbala, Alchemie. Aber nachdem wir uns bei dem auch aktuell tendierenden Philosophieprofessor Wesendonck in dessen Grünwalder Villa kennengelernt hatten, haben wir keinen Grund empfunden, uns nicht mit einem sorgfältig betonten Auf Wiedersehn zu verabschieden. Zeitgeizig sind wir beide. Wir sind keine sogenannten engen Freunde, vielleicht, weil wir beide vorsichtig geworden sind. Ich noch mehr als er. Draußen bei Wesendoncks haben wir uns zwar gleich bei unseren Vornamen genannt. Das heißt aber nur, daß wir beide in der Welt, besonders in der englisch-amerikanischen, herumgekommen sind. Er hat mich gleich bei der zweiten oder dritten Anrede Michel genannt. Das tun, nach meiner Erfahrung, nur die, die es gut meinen mit mir, oder, sagen wir, die Herzlichen. Hans Lach ist eine Herzlichkeitsbegabung. Das spürte ich sofort. Wir haben beide bemerkt und es auch nicht vor einander verheimlicht, daß wir nicht zum engeren Kreis der hier Eingeladenen gehörten. Beide in Gern wohnend, teilten wir nachher ein Taxi, auch bei der Bezahlung, weil keiner sich vom anderen einladen lassen wollte oder konnte. Daß wir da beide gleich kleinlich waren, war mir sympathisch. Und wir sagten uns auf dem Heimweg auch die Gründe auf, die uns diese Einladung beschert hatten. Mich hat Wesendonck über die Kabbala ausgefragt, weil er ein Buch Gershom Scholems für die Süddeutsche rezensieren sollte. Daß ich, als mir Wesendonck das mitteilte, den typischen Enttäuschungsstich verspürte, gestand ich natürlich nicht. Ich, in nichts so zu Hause wie in Mystik, Kabbala, Alchemie, wurde nicht um diese Buchbesprechung gebeten, wohl aber der doch ganz und gar aktuell tendierende Wesendonck. Aber er hatte, bevor er mich ausgefragt hatte, selber gesagt, daß ihm diese Besprechung nur angeboten worden sei und er sie nur angenommen habe, weil er mit Gershom Scholem
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