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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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Oberregierungsrat sofort mit dem Aktenstudium an. Hans Lach sah mich an, zuckte mit den Schultern und sagte mehr zu dem Beamten als zu mir hin: Rauchen darf man. Der Beamte: Man darf. Der Herr Oberregierungsrat sei heute offenbar besonders gut aufgelegt, sagte Hans Lach. Ob er sich über ihn beklagen wolle, fragte der Beamte. Sie müssen wissen, sagte Hans Lach zu mir, der Herr Oberregierungsrat fliegt jedes Jahr in seinem Urlaub nach Nepal und bringt von dort Videos mir, die er dann den Insassen hier vorführt. Hinter dem Berg, den Sie hier sehen, sagt er dann, liegt ein englisches Hotel, in dem haben wir schwedisches Bier getrunken. Der Herr Lach hat sich schnellstens über mich informiert, sagte der Oberregierungsrat. Drückte aber durch den Ton, in dem er das sagte, aus, daß er weiterhin konzentriert sei auf seine Arbeit, und an dem Gespräch dort am Tischchen nicht teilzunehmen gedenke. Das konnte nur heißen, Hans Lach und ich sollten nicht glauben, er höre unser Gespräch ab. Beamte sind viel fleißiger, als man denkt, sagte Hans Lach. Dann sagte er nichts mehr. Wenn der Beamte noch etwas gesagt hätte, hätte er sicher auch noch etwas gesagt. Er sah mich zwar an, aber nicht so, daß ich hätte fragen können: Wie geht es Ihnen. Er sah mich kein bißchen erwartungsvoll an oder neugierig. Er gähnte. Wollte das Gähnen aber höflich verbergen. Je länger ich ihn anschaute, desto weniger war es mir peinlich, daß ich nicht wußte, wie ich das Gespräch beginnen sollte. Ich war gekommen, um ihm zu sagen, daß ich wisse, er sei es nicht gewesen. André Ehrl-König hat sich durch seine Art, über Schriftsteller zu urteilen, sicher viele zu Feinden gemacht. Warum sollte sich ausgerechnet Hans Lach so vergessen! Es gab andere, die viel schlechter weggekommen waren. Durch Professor Silberfuchs hatte ich aus dieser Szene immer viel mehr erfahren als ich wissen wollte. Ich hoffte, Hans Lach begriff, warum ich gekommen war. Ich wollte etwas tun für ihn. Daß ich gekommen war, war ein Angebot. Er mußte darauf reagieren. Er sah mich ruhig an, vollkommen ruhig. Er erwartete nichts von mir. Wahrscheinlich hatte sein Verleger schon die besten Anwälte zusammengespannt. Wahrscheinlich empfing er an diesem Tischchen täglich seine Freunde und Freundinnen. Ich kam mir plötzlich ganz überflüssig vor. Ich hätte wirklich in Amsterdam bleiben sollen, Joost Ritmans Kabbala-Blätter anschauen, vergiß München, morgen wird das Feuilleton der Republik Hans Lach feiern, er wird Interviews und Interviews geben, das arme Schwein, der wirkliche Mörder, wird sein Geständnis herausstottern, die Mutter eine Prostituierte, er aufgewachsen im Waisenhaus, vom Kaplan vergewaltigt, seit dem siebzehnten Lebensjahr straffällig, mit achtundzwanzig – grade wieder mal aus dem Knast entlassen – schreibt er sein Leben auf, schickt das Manuskript André Ehrl-König, der läßt ihm durch seine Sekretärin mitteilen, daß er keine Anlaufstation sei für verpfuschte Biographien, also keimt in dem Knastheini eine Wut, er sieht Ehrl-König im Fernsehen, er fragt sich durch, ein Pförtner verrät ihm, wo gefeiert wird, nichts wie hin, gewartet im fallenden Schnee, bis der Star kommt, zugestochen …
    Entschuldigen Sie, bitte, daß ich gekommen bin. Das konnte ich auch nicht sagen. Es war übereilt. Ein Gefühl eben. Gefühle sind immer übereilt. Gefühle dürfen übereilt sein. Gefühle müssen übereilt sein. Basta. Zum Glück brauchte er mich nicht. Was hätte ich denn tun können für ihn? Aber er sah mich nicht an, als wollte er sagen: Was wollen denn Sie hier. Er sah mich ruhig an. Tendenzlos. Fast ohne jede Stimmung. Er kratzte mit einer Hand auf dem Handrücken der anderen. Er nahm mir nichts übel. Daß wir beide so sitzen konnten, ohne etwas zu sagen, daß dieses Nichtssagen überhaupt nicht peinlich war, das empfand ich als eine Art Übereinstimmung mit ihm. Er fand, daß ich gekommen war, nicht aufdringlich. Mit wem hätte ich eine Stunde lang so sitzen können, ohne etwas zu sagen! Mit wem hätte er … ach, er schon eher, er war es vielleicht gewohnt, daß man, wenn er nichts sagte, auch nichts sagte. Wenn ich, obwohl er so deutlich nichts sagen wollte, doch angefangen hätte, etwas zu sagen, irgendeinen Verlegenheitsquatsch, dann hätte ich die Situation verfehlt. Die Prüfung nicht bestanden. Das ist eben so. Der Prominente kann sich benehmen, wie er will, er benimmt sich richtig. Nur du kannst etwas falsch machen. Selbst wenn du
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