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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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nach der Sendung, in der Ehrl-König ihn, Streiff, den unbarmherzigsten Langweiler der doitschen Gegenwartsliteratür genannt hatte, wenn diese Begegnung auf einer eher dunklen Straße stattgefunden hätte, dann hätte er, Streiff, für nichts garantieren können. Und zitierte den Satz, den jetzt alle zitierten, den Satz, mit dem Ehrl-König an dem bewußten Abend seine SPRECHSTUNDE eröffnet hatte. Ich hatte mir natürlich inzwischen eine Kassette besorgt und die Ehrl-König-Sendung nicht nur einmal, sondern täglich einmal angesehen. Ich habe das Auftritts-Zeremoniell studiert. Das Licht im Zuschauerhalbkreis ist fast weg, nicht ganz, die Leute sollen einander wahrnehmen, erleben können. Ehrl-König kommt in einem scharf begrenzten Lichtschacht am Rand der Sitzreihen herein, betritt über drei Stufen die Bühne, hinter ihm seine TV-Assistentin Beatrice, von der der Professor sagt, sie heiße in Wirklichkeit Inge. Beatrice wartet, bis er über zwei weitere Stufen zu seinem Sessel steigt. Der ist schön imitiertes Empire, helles Holz, man soll an Marmor denken, goldene Rillen und Blätter, Zeus-Symbole (Adler und Blitz), die vier Füße, auslaufend in Löwentatzen, die auf vier Büchersockeln stehen. Vielleicht Attrappen. Auf jeden Fall sinken die Löwentatzen ein bißchen in die ledernen Buchdeckel ein. Die Buchrücken sind so beleuchtet, daß man lesen kann, worauf Ehrl-König thront: FAUST, EFFI BRIEST, ZAUBERBERG, BERLIN ALEXANDERPLATZ. Der Auftritt ist von Musik begleitet. Händel, irgendeine Festmusik. Ehrl-König steht fast feierlich neben seinem Sessel. Sobald die Musik aufhört, nimmt er gestenreich Platz. Man merkt: aus Hochachtung vor der Musik ist er stehengeblieben. Neben dem Thronsessel. Sobald er sitzt, geht Beatrice zu einem Tisch, holt von dort ein Buch und reicht es ihm. Er nimmt es, kann es auf ein hochbeiniges Tischchen legen, wenn er es nicht mehr in den Händen halten will. Kann es aber, um etwas damit zu beweisen, jederzeit wieder in die Hand nehmen. Der Überraschungsgast wird, sobald Ehrl-König das Buch in Händen hat, von Beatrice hereingeführt und darf auf einer Art Barhocker mit Rundlehne so Platz nehmen, daß er sowohl zu Ehrl-König hin wie zum Publikum hin agieren kann. Beatrice selber setzt sich hinten an die Seite, verfolgt alles aufmerksam und scheint jederzeit bereit zu weiteren Diensten. Sobald der Überraschungsgast mit deutlicher Geste von Ehrl-König begrüßt ist und sich gesetzt hat, sagt Ehrl-König (offenbar jedesmal): Spät komm ich, doch ich komme. Das ist das Signal für die Leute im weiten Halbkreis: alle klatschen begeistert. Er lächelt genießerisch. Dann kommt der erste Satz. Den Eröffnungssatz kannte ich, als Bernt Streiff ihn mir vortrug, längst auswendig: Warum soll Hans Lach, solange er einen Verleger hat, der schlechte Bücher gut verkaufen kann, gute Bücher schreiben? Und sein im weiten Halbkreis vor ihm, fast um ihn herum und ein wenig unter ihm sitzendes Publikum lachte. Und er: Ja, Sie lachen, meine lieben Damen und werte Herren, das letzte Mal, Sie erinnern sich: Botho Strauß war dran, habe ich eröffnet: Wer berühmt ist, kann jeden Dreck publizieren! Ich wette mit Ihnen, um was Sie wollen, daß jetzt schon ein Professor dabei ist, mir zu beweisen, daß ich überpointiere, um nachher überall zitiert zu werden. Da kann ich nur sagen: Herr Professor, unterpointieren liegt mir nicht. Und alle lachten. Er habe sich nicht gemeint gefühlt, sagte Professor Silbenfuchs, aber daß Ehrl-Königs Eröffnungen nachher jedesmal Zitatgut werden, sei nichts als wahr. Aber doch eher mündlich als schriftlich. Mündlich eben, weil Ehrl-König so leicht zu imitieren ist, daß es dazu keiner schauspielerischen Begabung bedarf. Silbenfuchs ist, wie er selber betont, aus Pflichtgefühl immer vom tröpfelnden Anfang bis zum prasselnden Ende in der Szene, wo denn sonst könne ein Literaturprofessor Literatur so aufschäumend lebendig erleben wie in der P ILGRIM Villa. Silbenfuchs genoß es sichtlich, mir die Details einer solchen Party servieren zu können wie Häppchen von einer feinen Platte. Wenn also Ehrl-König den Raum betrete, aber nein, da ich, Michael Landolf, noch nie dabei gewesen sei, sei es irreführend, von Raum zu sprechen. In der PILGRIM Villa gehen alle Räumlichkeiten in einander über, auch alle Niveaus, das höchste Niveau habe weniger Fläche als die ihm zugeordneten niedriger gelegenen Niveaus, am meisten Fläche habe das tiefste Niveau, um das
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